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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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dich.«
    »Kommst du erst jetzt? Wo warst du?«
    »Zu Hause.«
    »Hier ist was los. Sie streiken. Sauber, was?«
    »Eher etwas langweilig.«
    »Immerhin, es ist verboten. Und in Berlin soll der Teufel los sein.«
    »Vielleicht passiert hier was.«
    »Glaube ich nicht. Nicht mal die Polizei ist aufgetaucht.«
    »Die trauen sich nicht. Haben Schiss, dass man sie vermöbelt.«
    »Ich habe sie gesehen.«
    »Wo denn?«
    »Und es sind mehr, als ihr glaubt. Sie haben einige aus der Umgebung herangekarrt.«
    »Und wo sind sie? Wo hast du sie gesehen?«
    »In der Nähe vom Bahnhof und an der Post. Vermutlich stehen sie rundum. Rund um den Markt.«
    »Sie können nichts machen.«
    »Warts ab. Wollen wir wetten? Um was?«
    »Also, ich glaube, ich gehe jetzt besser.«
    Bernhard erschien. Er kam von der Alten Leipziger Straße, warf einen kurzen Blick auf den Platz und steuerte dann direkt auf uns zu.
    »Was willst du hier?«
    Meine Schulfreunde schauten verärgert zu Bernhard, der antwortete nicht. Er sah zu mir, als ob ich diese Frage beantworten könnte. Es war so ein erbärmlicher Blick, als ob ich ihm sagen könnte, warum er hier ist, warum er bei uns herumhängt, warum sich kein anderer mit ihm abgeben wollte, wozu er überhaupt geboren wurde und auf der Welt war.
    »Lasst ihn in Ruhe«, sagte ich, als das Schweigen feindselig wurde, »er ist in Ordnung.«
    Zwei Jungen verabschiedeten sich, und wir warteten mit Karl und Freddie und den anderen Leuten darauf, dass etwas passieren würde. Irgendwann sagte Freddie, dass nur die Einheimischen und die Brückenbauer an dem Denkmal stünden, von den Vertriebenen sei nichts zu sehen, kein einziger von ihnen sei dabei, obwohl genügend von ihnen sich in der Stadt breit gemacht hätten. Ich zog ihn am Jackenaufschlag zu mir und fragte, was er damit sagen wolle.
    »Nichts«, sagte er, »war bloß eine Feststellung.«
    »Ach so«, sagte ich, »eine Feststellung. Dann behalte sie besser für dich, Mann, deine Feststellung. Könnte mich ärgern, verstehst du.«
    »Jeder zieht sich den Schuh an, der ihm passt«, erwiderte er und machte sich los.
    »Genauso ist es«, sagte ich und starrte ihm so lange in die Augen, bis er es nicht mehr aushielt und den Kopf abwandte.
    »Ich denke, ich werd dann mal. Kommst du mit?«, fragte er Karl, und gemeinsam zogen sie ab.
    Wir sagten nichts, sahen uns für einen Moment an undschauten dann ihnen hinterher. Auf dem Markt war es ganz ruhig, obwohl sich so viele Leute versammelt hatten.
    »Ich habe eine Idee, Koller«, sagte Bernhard.
    »Eine Idee. Na, was denn?«
    »Komm mit. Wir gehen zu den Brückenbauern.«
    »Wozu, Mann?«
    »Ich will ihnen nur stecken, dass die Stadt voll ist mit Polizei. Dass sie besser zur Brücke zurückgehen.«
    »Das ist keine gute Idee. Ich meine, wenn wir hier stehen und zuschauen, kann uns keiner an den Wagen fahren. Aber wenn wir zu denen gehen, das ist ganz etwas anderes. Wenn das einer von der Schule erfährt, und genau das wird passieren, dann mach dich auf was gefasst.«
    »Wir streiken nicht, Koller. Wir schauen zu. Wir gehen einmal über den Platz, das ist nicht verboten. Komm mit.«
    Er schlenderte langsam über den Platz zu dem Holzmonument mit den Fahnen, um das herum die Arbeiter standen, und ich folgte ihm. Die Arbeiter aus der Stadt, es waren vielleicht dreißig, standen in kleineren Gruppen beieinander. Einige von ihnen kannte ich und grüßte sie. Sie sagten, wir sollten verschwinden und nach Hause gehen. Die Brückenbauer standen vor dem Rathaus, zwölf Männer in Arbeitsjoppen und verdreckten Manchesterhosen, um die Hüfte ein Gurt aus Leder oder Stoff, in dem ein Hammer steckte. Zwei Männer drehten sich gelangweilt nach uns um, sagten aber nichts. Bernhard sprach einen von ihnen an.
    »Tschuldigung.«
    »Was willst du, Junge?«
    »Ich wollte Ihnen sagen, dass massenweise Polizei in der Stadt ist. Fünfzig mindestens.«
    »Hast du sie gesehen?«
    »Ja. Am Bahnhof. An der Post. Die Straße zur Siedlung raus. Überall stehen welche.«
    »Die Bullen interessieren uns einen Scheißdreck.«
    »Ich hörte, die wollen zum Fluss. Wollen zur Brücke.«
    »So?«
    »Ja. Das sagte einer von ihnen. Drei oder vier sollen zur Baustelle am Fluss und sie kontrollieren.«
    »Da werden sie nicht viele von uns finden, Junge. Gut, dass du es uns gesagt hast, nun verschwindet. Das ist hier nichts für Kinder. Haut ab.«
    Die beiden Arbeiter, die mit uns gesprochen hatten, wandten sich ab, unsere Mitteilung schien sie wirklich

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