Landnahme
Werkzeug aus dem Schrank und probierte alles aus. Als ich Schritte im Flur vernahm, schob ich den ganzen Kram rasch unter mein Bett und tat, als würde ich ein Buch lesen.
Es war eine Dummheit gewesen, in den Bauwagen einzubrechen und das Werkzeug mitzunehmen, denn ich konnte es eigentlich nicht gebrauchen. Schlimmer war, dass es bei mir nicht entdeckt werden durfte, denn dann gäbe es einen riesigen Radau. Ich hätte alles gern Vater geschenkt, aber ich wusste nicht, wie ich das anstellen sollte. Es einfach in den kleinen Werkzeugschuppen zu bringen und dort in irgendeiner Ecke unter seine Sachen zu stecken, das ging nicht. Vater würde es natürlich sehr bald entdecken und sofort wissen, dass ich es dorthin gelegt hätte. Und es ihmzu schenken, das ging nicht. Es war viel zu teuer, ich hätte ihm nicht sagen können, ich habe es gekauft, und außerdem war alles gebraucht. Mir fiel keine Geschichte ein, die so glaubwürdig war, dass ich sie Vater hätte erzählen können, ohne dass er misstrauisch geworden wäre und mich so lange gelöchert hätte, bis ich mit der Wahrheit hätte herausrücken müssen. Und was dann passiert wäre, weiß ich nicht, in jedem Fall, selbst wenn Vater das Zeug behalten würde, bekäme ich eine saftige Abreibung. Wahrscheinlich, sagte ich mir, sollte ich es mir bei nächster Gelegenheit vom Hals schaffen und einfach irgendwo in einen Straßengraben schmeißen. Wenn es der Zufall will, so könnte es ja sein, dass die Brückenbauer dort vorbeigingen, es entdeckten und wieder in ihre Bude brachten. Das wäre das Beste, und keiner hätte einen Schaden.
Ich fragte Bernhard am nächsten Morgen in einer Schulpause, ob er seinen Seilaufzug und die Winde abgeholt habe. Er nickte.
»Und was machst du damit?«
Er grinste und zuckte mit den Schultern.
»Das kann uns in Teufels Küche bringen, mein Lieber.«
»Abwarten. Lassen wir erst Gras über die Sache wachsen, dann findet sich was.«
»Was soll sich da finden? In Wahrheit brauche ich das ganze Zeug nicht. Das war ein blödsinniger Einfall von dir.«
»Werkzeug kann man immer gebrauchen. Werkzeug ist wie Gold.«
»Na, mein Gold kannst du von mir aus haben. Ich brauchs nicht.«
»Wirklich?«
»Es ist mir einfach zu heiß.«
»Wenn du es nicht brauchst, ich habe dafür Verwendung.«
»Und wenn dich einer fragt, wo du es herhast? Was machst du, wenn dich dein Vater danach fragt?«
»Ach, mir fällt schon was ein. Also, wenn du das Zeug nicht brauchst, gibst du es mir. Einverstanden?«
»Ich überlegs mir.«
Ich ließ ihn stehen und ging zu meinen Klassenkameraden, die über den Streik redeten und den russischen Panzer, der gestern Nacht in unsere Stadt gekommen war und auf dem Marktplatz stand. Wir wollten nach der Schule alle zum Markt gehen, um ihn zu sehen.
Drei Tage später war der ganze Spuk vorbei. Der Panzer fuhr ab, und es wurde wieder gearbeitet wie zuvor. Der Klassenlehrer setzte eine aktuelle Stunde an, in der über die Ereignisse gesprochen werden sollte, keiner von uns sagte etwas. Wir hörten stumm zu, was der Lehrer uns erzählte, er wiederholte das, was in der Zeitung stand. Als er fragte, ob einer von uns etwas sagen wolle oder Probleme habe, meldete sich keiner, und er schien damit zufrieden zu sein. Dann sprach er über die Zeugnisse, die wir in vierzehn Tagen erhalten würden und die uns mehr beunruhigten, denn es waren unsere Abschlusszeugnisse, und unsere Lehrverträge verlangten, dass wir mit zufriedenstellenden Zensuren die Schule beendeten. Kurze Zeit danach hörte ich, dass ein paar Leute in unserer Stadt verhaftet worden seien, eine Frau und fünf Arbeiter, ich kannte keinen von ihnen.
Zwei Monate später stand in der Zeitung etwas über einen Prozess in der Kreisstadt. Drei der Arbeiter von der neuen Brücke wurden zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, und ein vierter bekam sogar drei Jahre wegen Herabwürdigung der Polizei. Er hatte im Prozess behauptet, Polizisten hätten auf seiner Baustelle Werkzeug gestohlen, während sie auf dem Marktplatz standen. Er behauptete, ein Augenzeuge habe es ihm gesagt, er konnte keinen Namen nennen, so dass die Beschuldigung ins Leere lief oder vielmehr sich gegen ihn selbst wandte. Durch das Verlassen der Baustelle habe er den Diebstahl ermöglicht, und es spreche für seine abgrundtiefe Verworfenheit und feindliche Einstellung,wenn er solche haltlosen Beschuldigungen ausgerechnet gegen jene Ordnungskräfte erhebe, die in jenen Tagen unter Einsatz ihres Lebens und ihrer
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