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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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benötigte, und sah das Baby. Es trank jetzt richtig an der Brust und hatte bereits ein paar Gramm zugenommen. Die Ohren sahen nicht mehr so zerdrückt aus und die Nase kam in richtige Form, nur die Haut war noch dunkel. Am vierten Tag nach der Geburt konnte ich die beiden mit meinem Adler abholen. Gitti stand bereits angezogen im Flur, als ich kam, ihre Sachen waren verpackt und wir mussten auf den Arzt warten, der die Entlassung vornahm. Wir wurden von der Schwester in ein Zimmer gerufen, in dem bereits das Baby war und voneinem Arzt untersucht wurde. Er hatte es ausgezogen und hörte es ab. Dann nickte er zufrieden.
    »Ein strammer Bursche«, sagte er zu Gitti, »Sie können ihn jetzt anziehen.«
    Er gab uns ein paar Ratschläge und mahnte uns eindringlich, das Baby regelmäßig bei der Mütterberatung vorzustellen. Dann erkundigte er sich, ob wir Fragen haben. Gitti schüttelte den Kopf, windelte das Baby und packte es dann in ein Moltontuch.
    Als der Arzt mich ansah, sagte ich: »Der Kopf ist ja wieder einigermaßen in Form. Aber was ist mit der Haut? Wie lange dauert das, bis die wieder normal ist? Jetzt sieht mein Junge aus wie ein kleiner Neger.«
    Der Arzt war überrascht, schaute sich das Baby an, dann lächelte er und sagte: »Da sprechen Sie am besten mit der Kindsmutter. Die kann Ihnen alles erklären, denke ich.«
    Er nickte uns zu, drehte sich um und rannte dann aus dem Zimmer, ohne sich von uns zu verabschieden.
    Auf der Heimfahrt redete Gitti unentwegt über das Baby und darüber, was wir einkaufen müssten. Sie redete pausenlos, und ich kam nicht einmal zu Wort. Daheim gab es viel zu tun, und erst am Abend, als sie den Kleinen an die Brust legte, konnte ich sie fragen.
    »Sag mal, was sollst du mir erklären?«
    »Was meinst du?«
    »Der Arzt hat gesagt, du könntest mir alles erklären, wie lange das mit der Haut dauert und so weiter.«
    »Ach so«, sagte sie und redete dann auf das Baby ein. Erst als ich sie nochmals aufforderte, sagte sie: »Ja, das ist eine Pigmentverschiebung. So etwas ist gar nicht so selten. Das dauert ein paar Tage oder ein paar Wochen, dann bekommt es die richtige Farbe, das ist alles.«
    »Eine Pigmentverschiebung?«
    »Ja.«
    »Nie von gehört.«
    »Ich kannte das auch nicht. Ist ungefährlich. Ein paar Wochen oder Monate, dann ist das vorbei.«
    »Monate? Eben hast du von Tagen gesprochen.«
    »Ja, vielleicht geht alles viel schneller. Der Arzt konnte es nicht genauer sagen. Wenn wir ihm Möhrensaft zufüttern, sagte er, kann es länger dauern, sogar viel länger.«
    »Dann kriegt unser Baby eben keine Möhren.«
    »Bist du verrückt! Möhrensaft ist ganz wichtig. Und deine blöde Hautfarbe, das ist mir völlig egal. Es ist ein wunderschönes Baby, nicht so blass wie alle anderen.«
    »Etwas blasser wäre mir lieber. Sieht ja aus wie ein Negerbaby.«
    »Red nicht so einen Unsinn«, sagte sie und dann sprach sie nicht mehr mit mir, sondern nur mit dem Kind.
    Von einer Pigmentverschiebung hatte ich nie etwas gehört, und ich weiß nicht, wie Gitti darauf gekommen war, andererseits hatte sie ja Zeit genug gehabt, sich etwas einfallen zu lassen. Vier Tage nachdem die beiden wieder in meiner Wohnung waren, sprach mich ein Arbeitskollege an. Er hatte etwas von der Pigmentverschiebung gehört und wollte Genaueres von mir wissen. Da Gitti den Kleinen noch nie mit dem Kinderwagen durch die Stadt gefahren hatte, wollte ich von ihm wissen, wer ihm was gesagt habe. Er grinste und sagte, daran könne er sich nicht mehr erinnern. Ich sagte ihm, was ich darüber wusste, und fügte hinzu, so etwas sei sehr selten, aber ungefährlich.
    »Ja«, erwiderte er, »ungefährlich ist es, selten ist es allerdings nicht. Kommt schätzungsweise jedes Jahr millionenfach vor.«
    »Tatsächlich?«
    »Klar«, sagte er, »bei einer Million Chinesen, bei einer Million von Negern und bei den Indianern auch. Alles Pigmentverschiebungen, die müssen auch damit leben.«
    »Du dämlicher Idiot«, sagte ich, drehte mich um und ließ ihn stehen.
    Durch seine Bemerkung war ich ins Grübeln gekommen. Vorher schien mir alles einleuchtend zu sein, wenn ich dabei auch ein paar Bauchschmerzen hatte. Aber über kleine Kinder wusste ich nur, dass sie alle möglichen Krankheiten haben können. An dem Abend nahm ich mir Gitti vor und fragte sie immer wieder nach dieser angeblichen Pigmentverschiebung. Ich sagte ihr auch, ich würde ins Krankenhaus fahren und mit dem Arzt sprechen, und sie erwiderte schnippisch, ich

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