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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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allem so weit?«, fragte er.
    Ich bejahte es, obwohl ich keine Arbeit gefunden hatte, bei der ich nach Belieben fortbleiben konnte, ohne dass es Ärger gegeben hätte. Bernhard wollte den Wagen sehen, und wir verabredeten uns für den kommenden Freitag. Er wollte nach Leipzig kommen, da er ohnehin in der Stadt zu tun habe. Ich hatte zwei Tage Zeit, eine Arbeitsstelle zu finden, doch ich war andererseits fest entschlossen, ihm etwas vorzuflunkern, wenn es mir bis Freitag nicht gelungen wäre. Ich wollte in sein Geschäft einsteigen, wenn ich bisher auch mehr ahnte als wusste, was da transportiert werden sollte. Ich wollte das Geld, und seit sich mir diese Möglichkeit bot, hatte ich mich immer mehr und immer weiter in den Gedanken hineingesteigert, monatlich solche Summen zu erhalten. Obwohl ich noch keine einzige Fahrt für Bernhard und Frieder unternommen und nicht einmal einefeste und verbindliche Zusage hatte, lebte ich schon in der Vorstellung, das Geld sicher zu haben und fantasierte und spekulierte bereits mit diesen Zahlen, so dass mich die hohen Kosten nicht abschreckten, die ich deswegen bereits hatte, und außer Kosten gab es bisher nichts, was mich wirklich damit verband. Je länger es dauerte, bis ich anfangen konnte, bei ihnen als Fahrer zu arbeiten, umso dringlicher war der Wunsch, dieses Geld zu verdienen. Ich wollte es, und ich brauchte es, ich brauchte es dringend, denn mein Konto leerte sich schneller als ich geplant und erwartet hatte.
    Am Freitag hatte ich noch immer keine Arbeit. Automechaniker waren gefragt und überall standen vor den Betrieben Holztafeln, auf denen die Berufe standen, für die man Arbeitskräfte suchte. Ich gab es rasch auf, dort nachzufragen, nachdem mich ein Meister entgeistert angestarrt hatte, als ich ihm darlegte, dass ich aus familiären Gründen gelegentlich der Arbeit fernbleiben müsste. Dann klapperte ich ein paar Kneipen ab, bei denen ich mir mehr Entgegenkommen versprach, ich wurde ausgelacht, als ich von den unerwarteten und sehr plötzlich eintretenden Schwierigkeiten erzählte, die mich machmal abhalten würden, zur Arbeit zu kommen. Einige vermuteten, ich sei Alkoholiker, der ab und zu seinen Rausch ausschlafen müsse. Und einen Arbeitsvertrag zum Schein abzuschließen, kam nicht in Frage, dazu musste man den Chef kennen, gut kennen und mit ihm befreundet sein. Einen solchen Vorschlag wagte ich keinem der Männer zu unterbreiten, mit denen ich über eine Arbeit sprach.
    Als Bernhard am Freitag zu mir kam, warf er einen kurzen Blick in meine Wohnung und ließ sich den umgebauten Wagen zeigen. Wir fuhren ein Stück in Richtung Dösen. Hinter dem Friedhof führte eine Straße zu einem Wäldchen, es war menschenleer dort. Wir hielten an, und Bernhard begutachtete eingehend meine Arbeit. Ich musste indas Versteck kriechen, und danach kroch er hinein und verlangte, dass ich eine Runde fahre, während er in dem Zwischenraum der Bodenbleche lag. Als ich die Klappe des Verstecks öffnete und ihn aussteigen ließ, nickte er zufrieden.
    »Für so viel Geld kann keiner mehr Komfort verlangen«, sagte er und grinste. Er holte einen Zollstock aus der Tasche und maß den Raum unter dem zweiten Bodenblech aus, das Versteck, die Maße notierte er sich in einem Kalender.
    Auf der Rückfahrt fragte er mich nach meiner Arbeitsstelle.
    »Alles in Ordnung«, sagte ich, »ich kann mir jederzeit freinehmen.«
    »Und was ist es? Was hast du für eine Arbeit?«
    »Bienenzüchter«, erwiderte ich. Es war mir am Vortag eingefallen. Ein uralter Onkel von mir war Bienenzüchter, und als Kind hatte ich ihn manchmal besucht. Er hatte immer Zeit. Im Frühjahr und Sommer musste er alle paar Wochen die Wagen umstellen lassen, die Waben kontrollieren und den Honig herausschleudern, und zum Ende der Saison gab es etwas mehr Arbeit, dafür hatte er den ganzen Winter nichts zu tun. Er besaß bestimmt fünfhundert Völker, die er in drei umgebauten Eisenbahnwagen untergebracht hatte. Außer dem Erlös für den Honig bekam er Geld von den Bauern, wenn er seine Wagen auf ihren Feldern aufstellte, aber das konnten sich nur die Großbauern, die Besitzer der Obstplantagen und die Genossenschaften leisten. Sie hatten mit ihren Pferden oder Traktoren seine Wagen zu den Standplätzen zu schleppen und im Herbst zurück auf sein Grundstück. Den Sommer über fuhr er alle paar Tage zu seinen Wagen, um nach den Bienen zu sehen, und im Winter gab es für ihn eigentlich nichts zu tun. In der Familie galt er als

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