Landschaften der Metropole des Todes: Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft (German Edition)
eine Art von Freiheit, in den weißen Schnee hinaus, den nächtlichen Schnee, in Weiten, die all der Merkmale der Metropole beraubt waren, die ich kannte, die ich jeden Moment seit meiner Ankunft in jener Nacht der flackernden Lichterreihen eingeatmet hatte.
Die andere Nachtreise
Das Gefühl der Verwunderung, des Staunens war weit mächtiger als die Verheißung der Freiheit, einer Möglichkeit der Rettung. Aber für mich war etwas Neues, Merkwürdiges an diesen weiten Flächen, die sich in alle Richtungen erstreckten – das Weiß des Schnees, die Bäume, die Dörfer, und entlang des sich langsam bewegenden Marsches der Häftlinge fanden sich ab und zu jene dunklen Flecken, deren Bedeutung ich zuerst nicht verstand. Zunächst war da ein Gefühl, dass dies eine Reise menschlicher Flüsse war, fließend und die Metropole des Todes durchbrechend, die Grenzen der Metropole des Todes, die Tore der Metropole des Todes zu einer – vielleicht – ferngelegenen Freiheit. Aber die dunklen Flecken waren, wie sich bald herausstellen sollte, tropfender Tod auf weißem Schnee, der alle, die vorbeigingen, zu einer dunklen Kette aufspulte, sich ständig weiter ausbreitete und die menschlichen Flüsse überholte, die sich langsam weiterwanden. Innerhalb kurzer Zeit wurde mir klar, dass jeder schwarze Fleck ein Häftling war, der erschossen und an den Straßenrand geworfen worden war. Jeder, der mit dem Marsch nicht Schritt halten konnte und zurückblieb, wurde erschossen. Immer mehr Menschen gingen von der Seite der Lebenden zur Seite der schwarzen Flecke über, und aus einem dunklen Rinnsal wurde ein Strom entlang der Flüsse, der Kolonnen, aus denen die Freiheit unaufhörlich schwand.
Das Ereignis des Todesmarsches ist ein eigenes Geschehen, die Flucht und die Errettung ebenso, aber hier ist nicht der Ort, das zu beschreiben.
Für mich endete diese Reise als etwas, das eigentlich niemals in der Freiheit ankam. Ich blieb in jener Metropole, ein Gefangener jener Metropole, dieses unabänderlichen großen Gesetzes, das keinen Platz ließ für eine Rettung, für eine Verletzung dieser fürchterlichen »Gerechtigkeit«, der zufolge Auschwitz immer Auschwitz bleiben muss. So blieb mir das unabänderliche Gesetz erhalten, und ich blieb in ihm gefangen, und das war es, was ich entdeckte, als ich Jahrzehnte später dorthin zurückkehrte. Mit dieser Rückkehr, mit der Vollendung des letzten Aktes, den zu erfahren ich damals nicht »ausersehen« war – des Aktes, die verbliebenen Ruinen zu erklimmen, zumindest jene der Gaskammern des Krematoriums –, vollendete sich das unabänderliche Gesetz, »das krönende Ende war wiederhergestellt« – das kleistsche, das kulkaeske – und schließt die Odyssee, in der ich gefangen blieb und die mich an diesen Ort band.
5
Betrachtungen und Staunen angesichts
der Bilder der Erinnerung
Ich wende mich nun einer Frage zu, die mich nicht wenig beschäftigt, insbesondere wenn ich diese Tonbandaufnahmen höre und wenn ich die Beobachtungen über die Landschaften der Metropole des Todes in meinen Tagebüchern lese. Das durchdringende, alles beherrschende Element ist das unabänderliche, vollkommen unpersönliche Gesetz des Großen Todes. In Kontrast dazu stehen die persönlicheren Spiele des »kleinen Todes«. Fast abwesend – oder tatsächlich völlig abwesend – ist ein anderes Element, das so wohlbekannt ist aus Erinnerungen und Zeugnissen über den Alltag im Konzentrationslager. Ich meine die Gewalt, die Grausamkeit, die Folter, den individuellen Mord, die, soweit ich das beurteilen kann, als alltägliche Routine der Lagerwelt beschrieben werden. Im Allgemeinen vermeide ich, derartige Texte zu lesen. Ich muss mich fragen, ob irgendetwas von dieser Gewalt, von dieser Grausamkeit in meinem Gedächtnis geblieben ist. (Fast hätte ich gesagt, in meinen Erinnerungen, aber ich bin ausgezogen, mein Gedächtnis zu erforschen, ich schreibe keine Erinnerungen.) Es ist erstaunlich, dass ich nahezu keine solcher Erinnerungen finde; ich muss genau nachdenken und die Bilder abtasten, die in der einen oder anderen Form erhalten sind – als Erfahrungen, als Farben, als Eindrücke –, um in ihnen etwas zu entdecken, was ich als Gewalt beschreiben könnte.
»In der Strafkolonie«
Eigentlich gibt es doch einige Episoden dieser Art, die mein Bewusstsein bevölkern. In einer früheren Tonbandaufnahme beschrieb ich, en passant, die Skeletthaufen, die Leichen – mit Haut bedeckte Knochen –, die im Morgengrauen
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