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Landschaften der Metropole des Todes: Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft (German Edition)

Landschaften der Metropole des Todes: Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft (German Edition)

Titel: Landschaften der Metropole des Todes: Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Dov Kulka
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auch nie enden wird.

    Abb. 41
    Aber wie kann ich mich auf den Weg machen, wenn dicht hinter mir ein verstaubtes Auto geparkt ist, das offenbar schon seit langem hier steht, und vor mir ein schwarz-grauer Lastwagen – seine Farbe lässt sich nicht eindeutig ausmachen –, der zwar nicht besonders groß ist, mir aber den Weg hinaus versperrt?
    Nur wenige Passanten sind auf der leeren Straße unterwegs und keine Autos. Es ist ein düsterer, schneidender Wintertag – es schneit zwar nicht, aber das Grauen des Winters durchdringt alles. Falls es Menschen in dieser Stadt geben sollte, in dieser Straße, sind sie in ihren Häusern eingeschlossen. Ab und an huschen ein paar Gestalten vorbei, gleichgültig, entrückt, wie Schatten der Toten, die eilig ihren Geschäften nachgehen.
    Das Bild, das dann in meinem Kopf auftauchte – es basierte auf Fotografien und Dokumenten aus der Zeit der Prager Juden während und nach den Massendeportationen –, war das der wenigen, die verblieben waren, die man zur Prüfung, Verzeichnung und Verwahrung der »Schätze der glorreichen jüdischen Vergangenheit« herangezogen hatte, erfroren, verstummt. Und die wenigen, die damit zu tun hatten, sprachen ebenfalls nicht mit mir und antworteten nicht auf meine Fragen – »Wie komme ich zum …?« –, sondern eilten ihren Geschäften nach. Wie Menschen jenes Regimes, die sein Wesen kannten und um ihren Platz wussten. 12 Was genau versuchte ich eigentlich dort zu fragen, damals in dieser verlassenen Straße des alten jüdischen Viertels in Prag, als mir die Anordnung übergeben wurde und ich den versperrten Parkplatz noch nicht verlassen hatte?
    Ich wollte fragen, wie ich zum jüdischen Rathaus gelange, obgleich es nur wenige Schritte entfernt in derselben Straße lag und ich genau wusste, wie es aussieht. Dennoch musste ich fragen, wie man dorthin kam, denn obwohl die Anordnung, oder das »Urteil«, so eindeutig war, dorthin zu gelangen war weder einfach noch eindeutig. Nach einer Weile – wie viel Zeit verstrichen war, kann ich heute nur mehr schwer einschätzen – erschien der Lastwagenfahrer, und ich versuchte kraftlos, ihm Vorhaltungen zu machen wegen der Verspätung, die er mir bereitet hatte, aber er achtete nicht auf meine Worte, und wenn er leicht verärgert doch etwas murmelte, sprach er mehr zu sich selbst, als dass er auf meine Vorhaltungen geantwortet hätte. Der Laster wurde gestartet und fuhr los, und auch ich konnte den Parkplatz verlassen. Das tat ich – aber ich erinnere mich nicht mehr daran, ob ich in das Auto einstieg und wohin ich gefahren bin. Woran ich mich aber deutlich erinnere, ist, dass ich mich direkt danach in derselben Straße wiederfand, sie entlanglief und das in der Anordnung genannte Gebäude erreichen wollte.
    Ich wusste genau, was sich in dem Gebäude abspielte und zu welchem Zweck ich in diesen düsteren Bau gehen sollte. Mir war klar, dass innerhalb seiner Mauern dasselbe geschah wie in dem Gebäude, in dem sich in Birkenau die Gaskammern befanden, in die ich geschickt wurde und in die ich ging, aus denen ich entkam und in die ich wieder zurückgebracht wurde und immer so weiter. Und all das geht lautlos vor sich, ohne dass die Bediensteten des Gebäudes, die wie dunkle Schatten beim flackernden Feuer der Verbrennungsöfen ihrer Arbeit nachgingen, auch nur ein Wort verlauten ließen.
    Ich erinnere mich nicht mehr, ob ich zurückging und Passanten auf der Straße fragte – falls da welche gewesen sein sollten, und ich glaube, da waren welche, aber die verhielten sich meinen Fragen gegenüber gleichgültig, wie zuvor schon –, aber als ich das Rathaus erreichte, war die schwere Eisentür (die in Wirklichkeit schwere Holztüren sind) verschlossen. Ich klopfte an das eiserne, hellgrau gestrichene, möglicherweise etwas verblasste Tor, erhielt aber keine Antwort.
    Als ich da vor dem verschlossenen Tor stand und darauf wartete, dass es sich öffnen würde – denn schließlich blieb mir nichts anderes übrig als einzutreten, nachdem der Parkplatz nun frei war und ich anscheinend ungehindert meinen Weg fortsetzen konnte –, änderte sich das Bild vollkommen.

    Abb. 42
    Der düstere Wintertag löste sich im Licht eines klaren Sommertages auf, die Straßen waren voller Menschen, und ich fand mich mitten unter ihnen, sie saßen in Straßencafés und Restaurants, und ich lief weiter, bis ich den prachtvollen Příkopy Boulevard erreichte, der vor Menschen barst, aber niemand nahm Notiz von mir, und ich wusste

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