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Landschaften der Metropole des Todes: Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft (German Edition)

Landschaften der Metropole des Todes: Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft (German Edition)

Titel: Landschaften der Metropole des Todes: Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Dov Kulka
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diese mythische Heimat, in diese Metropole begleitet. Ich würde nicht sagen, dass ich nicht versucht hätte, teilzuhaben – nicht aktiv, aber passiv, wie jeder denkende Mensch auf der Welt –, ich würde nicht sagen, dass ich es vollständig vermieden hätte, mich an den Versuchen anderer zu beteiligen, diese Landschaften heraufzubeschwören, diese Landschaften, wie sie in den Augen anderer entstanden, die darin eine Berufung sahen und ihre Botschaft übermittelt haben. Ich habe es hier und da versucht, ich meine – vielleicht kann ich es andersherum besser ausdrücken –, im Grunde habe ich es immer vermieden und vermeide es bis zum heutigen Tag, irgendetwas Literarisches oder Künstlerisches zu lesen, das Auschwitz, die Konzentrationslager, dieses Kapitel der »Endlösung«, das heißt die Geschichte der Juden unter dem Eindruck dieses gewaltsamen Endes, beschreibt oder zu beschreiben versucht. Auch habe ich vermieden, Ausstellungen oder Museen zu besuchen, und so viele Stunden ich auch in verschiedenen Archiven und Bibliotheken, einschließlich des Archivs von Yad Vashem und der dortigen Bibliothek verbracht haben mag, ich habe weder die Ausstellung noch die große Gedenkstätte oder andere Ausstellungen und Gedenkstätten besucht und werde sie vermutlich nie besuchen – nie besuchen können. Ich habe Claude Lanzmanns Film Shoah , den so viele zu einem Teil ihres geistigen Eigentums oder ihres historischen Bewusstseins gemacht haben, nicht gesehen. Es war mir nicht immer klar, warum ich nicht ging und es immer wieder aufschob und ihn schließlich nicht gesehen habe. Ich schaue mir auch keine anderen Filme zu diesem Thema an, und zwar ohne mir darüber Rechenschaft abzulegen. Sicher nicht – was vielleicht eine verständliche Auslegung wäre –, weil mir dies Leid verursachen würde, vor dem ich zurückschrecke. Bestimmt nicht. Aber der Abstand, den ich mir beim Umgang mit der Geschichte dieser Epoche angewöhnt habe, zwang mich wohl, im Hinblick auf die letzte gewaltsame Phase dieser Geschichte jegliche persönliche Teilnahme zu vermeiden.
    So habe ich lange Zeit gedacht, allerdings ohne mir selbst im Grunde eine überzeugende Erklärung dafür zu geben. Aber es gibt eine überzeugende Erklärung. Ich kam vor ein paar Jahren darauf, und ich glaube, sie findet sich auch in einem der Tagebucheinträge, vielleicht von 1989. Aber auch wenn sie dort nicht festgehalten ist oder wenn sie anders formuliert ist, als ich es heute sehe, möchte ich dieses Kapitel mit dem Versuch beenden, die Dinge so zu klären und auszulegen, wie sie mir aufgingen in einem Augenblick der Erleuchtung durch das Licht, in dem ich in diesen mythischen Landschaften meiner privaten Mythologie lebe, in diesen Heimat-Landschaften von Auschwitz, der Heimat des Todes, der Metropole und all dem Übrigen.
    Ich komme auf eine Episode: Einer meiner Universitätskollegen lud mich ein, einen Vortrag zum Thema »Der Holocaust in der Literatur« zu besuchen. Aus Höflichkeit konnte ich ihm die Einladung nicht abschlagen, und ich hörte, was ich eben hörte. Das Gefühl der Entfremdung war überwältigend. Dies sind zwei Sprachen: eine Sprache, die ich nicht verstehe, und eine zweite, durch die ich diese Epoche lebe. Aber trotzdem unternahm ich den Versuch, eines der Bücher zu lesen, die in dem Vortrag erwähnt wurden. Einige dieser Bücher waren doch von hervorragenden Schriftstellern dieses Landes geschrieben worden, die viel zitiert werden – und es gibt viele hervorragende Schriftsteller anderswo in der Welt, die sich zweifellos mit dem Thema auseinandergesetzt haben und es verdienen, gelesen und von der Forschung beachtet und diskutiert zu werden.
    Ich nahm eines der Bücher, vielleicht eines der bedeutendsten von allen, und fing an zu lesen. Über Auschwitz. Die Beschreibung einer Situation, die der Autor erlebt hatte. Entsetzt und zugleich erstaunt stellte ich fest, dass das Einzige, was ich bei dieser Heraufbeschwörung, bei dieser Beschreibung fühlte, las und sah, äußerste Entfremdung war. Zwischen dieser Beschreibung der Welt, der Landschaften, der Realität und den Bildern, den Szenen, den Landschaften, den Erfahrungen, der Gegenwärtigkeit der Vergangenheit, die fortwährend ein Teil meiner Gegenwart sind, verlaufen Ströme, die man nicht überqueren kann. Dies ist etwas völlig Unterschiedliches. Es ist mir vollkommen unmöglich, diese Dinge in Verbindung zu bringen, sie in diese Landschaften einzufügen.
    Und hier stellte ich eine

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