Landschaften der Metropole des Todes: Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft (German Edition)
naive Frage: Dieses Buch und viele andere, ähnliche Bücher und dazu viele andere Werke aus den Bereichen Film, Theater und Kunst, sind doch für die gesamte Welt, oder für die gesamte lesende Öffentlichkeit zugänglich und bieten einen Weg an, sich von Auschwitz und seiner Welt, den Ghettos, diesem historischen Zeitabschnitt, dieser Realität ein eigenes Bild zu machen. Und jeder liest sie – es werden ja tatsächlich Tausende von Exemplaren verkauft –, also sprechen sie offensichtlich eine Sprache, die all diesen unendlich vielen Lesern verständlich ist. Und ich kann in ihnen nicht finden, was sie vermitteln wollen! Es ist eine vollständig andere Welt! Das Gefühl der Entfremdung ist das Einzige, was ich wahrnehme und dem ich Ausdruck verleihen kann. Allein die Authentizität der Entfremdung ist authentisch.
Und ich frage: Worin bin ich anders? Irgendetwas ist mit mir nicht in Ordnung!
Und dann, wie so oft, wie fast immer in Zeiten der Not, flüchte ich mich zu Kafka, entweder in die Tagebücher oder in seine anderen Werke. Ich schlug damals wieder das Ende auf – ich öffne Bücher immer, ohne darauf zu achten, wo –, ich schlug das Ende der wunderbaren Erzählung von dem Mann auf, der vor dem Tor zum Gesetz steht. Dieser Mann vor dem Tor zum Gesetz stellt eigentlich dieselbe Frage – und es ist eine seiner letzten Fragen, die er, wie der Türhüter scherzt, getrieben von seiner unersättlichen Neugier stellt. Er fragt: »Sag mir, dies ist doch das Tor zum Gesetz, und das Tor zum Gesetz steht offen für alle.« Worauf der Türhüter antwortet: »Ja, so ist es.« Daraufhin sagt der Mann (wenn ich mich recht erinnere): »Jedoch in all diesen Jahren, die ich hier sitze, ist niemand durch das Tor eingetreten.« Und der Türhüter nickt mit dem Kopf und sagt: »In der Tat.« Der Mann bittet ihn, diesen rätselhaften Umstand zu erklären, und der Türhüter tut ihm diesen letzten Gefallen und sagt: »Dieses Tor steht offen nur für dich, es ist nur für dich bestimmt, und jetzt gehe ich und schließe es.«
Deshalb ist alles, was ich hier aufgenommen habe – all diese Landschaften, diese ganze private Mythologie, diese Metropole, Auschwitz – dieses Auschwitz, das hier aufgenommen wurde, das hier aus meinen Worten spricht, der einzige Ein- und Ausgang – der Ausweg vielleicht – der einzige, der für mich allein existiert. Und nicht nur das. In meiner Interpretation heißt das, dass ich auf keinem anderen Weg, durch kein anderes Tor, das zu diesem Ort führt, eintreten kann. Werden andere durch das Tor, das ich hier geöffnet habe, das für mich immer offen steht, eintreten können? Möglicherweise ja, denn dieses Tor, das Kafka öffnete, das nur für eine Person bestimmt war, für K., für Josef K., steht tatsächlich fast jedem offen. Aber für ihn gab es nur ein Tor zu seiner privaten Mythologie.
Ich weiß nicht, ob diese Analogie hier anwendbar ist, aber dies ist die einzige Bedeutung, die ich für das Rätsel zu finden vermag, warum meine Gegenwart so besetzt ist von dieser Vergangenheit, die ich ununterbrochen erfahre, in der ich ununterbrochen arbeite, in die ich mich ununterbrochen flüchte, in der ich Landschaften erschaffe, durchsetzt mit Bildern aus der Realität, der Zeit der Kindheit und der Zeit des all dies staunend betrachtenden großen Jungen, der, bevor es geschlossen wird – bevor dieses Tor geschlossen wird –, diese Fragen stellt und schließlich eine Antwort gefunden zu haben scheint – zumindest auf diese eine verwirrende Sache, wenigstens darauf. Es ist nicht eben viel, es ist nebensächlich, aber es ist unmöglich, diese Dinge nicht auszusprechen, nicht darüber zu rätseln, nicht an sie zu glauben, denn ohne diesen Glauben wäre die gesamte Erinnerung meiner Kindheitslandschaften, der Landschaften, in denen ich stets meine Freiheit finde – die vorletzte Freiheit –, verloren.
10
Auf der Suche nach Geschichte
und Gedächtnis
All das hat mit der Frage zu tun, warum es mir nicht möglich war, Werke zum Thema Holocaust zu sehen oder zu lesen. Aber tatsächlich, oder scheinbar?, fand meine direkte Konfrontation mit der Welt der »Metropole«, mit dem unabänderlichen Gesetz des Großen Todes auf einem anderen Weg statt, auf einem, der in vieler Hinsicht als der zentrale Weg meines Lebenswerks betrachtet werden kann: historische, wissenschaftliche Forschung. Die paradoxe Dualität der wissenschaftlichen Erforschung dieser Zeit habe ich bereits angesprochen: die
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