Landschaften der Metropole des Todes: Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft (German Edition)
systematische, vollständige Zurückhaltung, biografische Elemente mit dem Bereich des geschichtlichen Geschehens zu verflechten; man könnte sagen, mit dem eigentlichen, allerinnersten Kern dieses geschichtlichen Geschehens.
Ich habe viel nachgedacht über diese Dualität, den methodologischen Abstand und all das andere. In der Tat aber scheint mir jetzt, als hätte ich nur versucht, das Hindernis dieses Tores zu umgehen, es mit aller Kraft meines Daseins zu durchbrechen, vielleicht verwandelt in eine Art Trojanisches Pferd, das das Tor niederreißen und die unsichtbaren Mauern der mir verbotenen Stadt stürzen sollte, von der ich mich selbst ausgeschlossen hatte.
Denn dieses rigorose, »rein wissenschaftliche« Schreiben ist aufgeladen mit enormen »metadimensionalen« Lasten und Spannungen, die irgendwie über die Grenzen der Zeit hinausreichen.
Ich glaubte, hier, in den sicheren und wohlausgebauten Bahnen der wissenschaftlichen Disziplin, das Bewusstsein der Intensität der Erfahrung dieser historischen Ereignisse einfließen lassen zu können, das Bewusstsein ihrer Metadimensionalität, das Bewusstsein ihrer unermesslichen Unpersönlichkeit, das ich durch das Prisma jener Gegenwart erlebte, durch die Erinnerung an sie und ihre Imagination, durch das Prisma jener Gegenwart, die ich scheute und fürchtete, vielleicht unbewusst, um mich ihr nicht unmittelbar stellen zu müssen.
In der Tat habe ich in all meinen Forschungen nie das Stadium und die Dimension des gewaltsamen Endes, der Ermordung, der Demütigung und Folter der Menschen erreicht. Ich habe diese Dimension ausgelassen oder sie umgangen – vielleicht wie ich auch die Haufen von skelettartigen Leichen umgangen habe, die hinter den Baracken in Auschwitz auf meinem Weg zum »Kinderblock« aufgestapelt waren –, um stattdessen den umfassenden Kontext der Ideologie und der Politik, die all dem zugrunde lagen, zu erforschen, die historischen Auswirkungen, die Dynamiken von Gesellschaft und Herrschaft sowie die Gesellschaft und die Führung jener, die Gegenstand der »Endlösung« waren – der Juden –, in der Zeit, die dem gewaltsamen, endgültigen Ende vorausging. Ich hoffte offensichtlich, dass ich auf diese Weise mit dem Gefühl einer Aufgabe umgehen könne, der Last einer Botschaft, mit dem Wissen, das in mein Dasein eingeschrieben ist, und hätte ich nicht jene »sichere Bahn« gefunden, so hätte ich dieser Spannung und Furcht nicht standgehalten, als ich hilflos und angstvoll im vagen Bewusstsein stand, dass es für mich keinen Weg gebe und dass ich nie versuchen würde, einen Weg zu finden, um die eine Botschaft, die alles andere in sich trägt, offenzulegen: dass die Welt, nachdem die Metropole mit ihrem unabänderlichen Gesetz des Großen Todes gewesen ist, sich nie mehr von deren Da-Sein wird befreien können.
War dies mein Tor zum Gesetz? Zu dem Gesetz der Welt? Einer der zwei massiven Eisenflügel dieses Tores, eines Tores, das Tag und Nacht offen steht? Und jetzt, sagte der Türhüter zu dem Mann, »gehe ich und schließe es«. Aber es scheint mir, als füge der Erzähler hinzu, dass es in diesem Augenblick dem Mann so vorgekommen sei, als ob hinter jenem Tor ein neues Licht leuchte oder schwach schimmere, ein Licht, das er nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte.
Abb. 40
D REI K APITEL
AUS DEN T AGEBÜCHERN
11
Traum: das jüdische Prag
und der Große Tod
28. Juli 2003
Eine verlassene Straße in Prag, im alten jüdischen Viertel. Ich sitze in einem verblassten Auto, das in einer Parklücke steht, der Weg hinaus ist versperrt.
Aber all dies Dichte, Überfüllte sind drei oder vier aschgraue Autos, die sich in die fahle Trostlosigkeit der Umgebung einfügen. Die Zeit – die trostlose Zeit der Herrschaft des unabänderlichen Großen Todes. Von Gesandten des jüdischen Rathauses nehme ich – zögernd – eine Botschaft entgegen, die ein Urteil verkündet: Ich soll mich zum jüdischen Rathaus begeben, dem Gebäude mit dem barocken Turm und den Uhren mit hebräischem und römischem Zifferblatt, das sich nicht weit von hier in derselben Straße befindet und von außen verschlossen, verriegelt, verlassen aussieht.
Vom Moment des Urteils an – warum verwende ich dieses Wort? So habe ich es geträumt, und sein sprachlicher Ursprung in meinem Kopf ist jetzt nicht von Belang –, sofort nach dieser Anordnung also mache ich mich auf den Weg, der bis zum Ende des Traums nicht enden wird und bis heute, bis zu dieser Stunde nicht endet und
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