Landy, Derek - Tanith Low - Die ruchlosen Sieben
dich locker“, sagte Aurora. „So toll ist sie auch wieder nicht.“
„Vielleicht war sie das vor zwanzig Jahren nicht, als sie noch mit Schreck Jones zusammen war“, meinte Wilhelm. „Aber sie hat sich verändert. Sie hat jetzt einen Restanten in sich. Sie kennt kein Mitleid mehr. Sie ist eine Frau, die an der glatten Wand hochrennt und ein Schwert schwingt und vor der man nirgendwo sicher ist. Im Grunde ist sie eine Ninja, und jetzt ist sie auch noch eine Ninja ohne Gewissen. Das ist für mich die Definition einer Person, mit der ich mich ganz bestimmt nicht anlegen will.“
„Es kommt noch schlimmer“, gab Saracen zu. „Wie es aussieht, ist Billy-Ray immer noch mit von der Partie.“
„Na super“, sagte Wilhelm, „der Killer.“
Saracen zögerte. „Plus Springer-Jack, die schwarze Annis, ein unbekanntes Mädchen und … Dusk.“
Wilhelm fielen fast die Augen aus dem Kopf. „Der Vampir? Sie hat einen Vampir? Dann heißt es, Springer-Jack und die schwarze Annis und ein Vampir gegen … wen? Uns? Das reicht. Ich steige aus. Ich bin raus aus der Sache.“
„Du steigst nicht aus“, bestimmte Aurora.
„Zwei Monster, ein Vampir, ein Killer und eine Ninja plus was immer die geheimnisvolle Unbekannte ist. Wisst ihr, was das bedeutet? Wir werden sterben. Wir. Werden. Sterben.“
„Sei nicht so dramatisch.“
„Weißt du, was dramatisch ist? Auf brutale Weise von einer der eben genannten Personen umgebracht zu werden. Das ist ein Drama. Dies hier? Das bin nur ich, der leise ausflippt.“ Wilhelm drehte sich zu Vex um. „Bitte sag mir, dass wir die Sache nicht weiterverfolgen.“
„Wir verfolgen die Sache weiter“, erwiderte Vex, und Wilhelm stöhnte. „Und wir haben nicht unbedingt viel Zeit. Wir können jetzt wohl davon ausgehen, dass Tanith die Brünette war, von der Johann Stark gesprochen hat. Sie versuchte, an den Dolch heranzukommen, sah die gewaltigen Sicherheitsvorkehrungen und hat wahrscheinlich beschlossen, erst mal mit etwas Einfacherem anzufangen. Aber das hat sie nicht bekommen – wir haben es. Wir haben den Bogen, Johann hat immer noch den Dolch, bleiben noch zwei weitere Waffen. Wir müssen sie uns holen, bevor sie es tut.“
„Wohin also als Nächstes?“, fragte Gracious.
„Zu einem Mann namens Crab“, bestimmte Vex. „Tanith wird sich das Schwert bis zum Schluss aufheben – das zu holen, wird am schwierigsten. Crab hat den Speer – das wird am einfachsten.“
„Wenn es so einfach ist, hat sie ihn wahrscheinlich schon.“
„Wenn sie ihn schon hätte, hätte sie sich mit seiner Hilfe den Bogen und den Dolch geholt – aber einen der Göttermörder einzusetzen, hieße, womöglich die Besitzer der anderen Waffen zu warnen. Nein, sie spart sich den Speer bis kurz vor Schluss auf. Ein schöner leichter Job, damit sie vor dem großen Finale noch einmal richtig Atem schöpfen kann.“
„Lass mich raten“, meldete sich Schreck Jones. „Das war auch unser Plan, oder?“
„Ja“, gab Vex zu. „Die ganze Sache hier sollte schnell und leise vonstattengehen. Rein, Waffen holen, raus. Tanith und ihre kleine Truppe fröhlicher Psychopathen haben uns das gründlich vermasselt. Das Mindeste, was wir tun können, ist, uns zu revanchieren.“
SIEBZEHN
Tanith saß hoch über der Bühne im Dunkeln und ließ die Beine von der Beleuchterbrücke baumeln, während der Mann unter ihr sang. Sie war nie ein großer Opernfan gewesen. Ihre Eltern schon, und sie erinnerte sich noch genau daran, wie sie am Kamin saßen und ihr Vater seine Lieblingsstücke auf dem Phonografen spielte. Aber das war jetzt schon so lange her. Das war noch in der Zeit, als einige Tonträger zylindrisch waren, vor der Erfindung des Grammofons, das den Phonografen verdrängte. Für sie signalisierte das Grammofon den Beginn des Wandels. Wann immer ihr Bruder zu Besuch nach Hause kam, brachte er ihr eine dieser Scheiben für ihre Sammlung mit. Duke Ellington, Cab Calloway, Louis Armstrong … Er erzählte ihr, wie es war, als er diese Leute bei Konzerten erlebt und einige sogar hinterher kennengelernt hatte. Immer wieder bat sie ihn, sie auf seinen Reisen mitzunehmen, doch er lehnte jedes Mal ab. Wenn du älter bist, hieß es immer. Wenn du mit der Schule fertig bist.
Doch in diesen Jahren dazwischen hatte es keine Musik gegeben. Da unten im Dunkeln waren keine Melodien erklungen. Nur ihr Herz hatte seinen Rhythmus – poch, poch, poch – in ihrer Brust geschlagen. Musik spielte dort keine Rolle
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