Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)
Augenblicks zu nutzen und schlug nach dem Bein des Werwolfes, aber er hatte keine Chance. Die Bestie sprang leichtfüßig über Hagens Hieb hinweg, landete, wirbelte herum und schlug mit unmenschlich großer Kraft nach ihm. Hagen segelte rückwärts gegen die Stallwand und blieb zusammengesackt liegen.
Ja, spukte die Ironie durch meinen Kopf, der Abend wurde großartig! Nun stand ich allein Auge in Auge einem Werwolf gegenüber.
Ich wusste, die Bestie vermochte scheinbar überirdisch schnell zu sein, außerdem war dies hier kein Welpe mehr. Längst nicht mehr.
Er stieß sich ab, überbrückte im Zickzack die wenigen Meter, die uns trennten, und ich schoss.
Die Silberkugel traf seine Schulter, riss seinen Arm nach hinten und warf ihn seitlich um. Ohne darauf achtzugeben, rannte ich zu dem bewegungslosen Hagen und ergriff sein Beil. Verzweifelt blickte ich mich um – irgendwo musste auch Hagens verdammte Pistole sein. Zu spät. Der Werwolf, der inzwischen seines Schmerzes Herr geworden war, riss mich von den Füßen. Ich spürte, wie scharfe Krallen meine Schulter aufrissen, während ich versuchte, mich abzurollen, und es tatsächlich fertigbrachte, auf den Füßen zu landen. Das Beil vor mich ausgestreckt machte ich einige seitliche Schritte. Wir umkreisten einander, wie er und Hagen es zuvor getan hatten. Sein linker Arm – oder sollte ich sagen: sein Vorderlauf? – hing an seiner Seite herab, und der zerfetzte Muskel an der Schulter blutete. Doch wenn es ihn beeindruckte, ließ er es sich nicht anmerken. Im Gegenteil, offenbar war ihm durch das Silber der Kugel schmerzlich bewusst geworden, dass er es nicht mit Amateuren zu tun hatte. Ich täuschte einen seitlichen Ausfall an, aber er fiel nicht darauf herein. Verflucht! Ich wusste, dass ich trotz seiner Verwundung kein Gegner für ihn war. Nicht im Kampf Mann gegen Mann.
Diesmal täuschte er den Ausfall an, und ich fiel darauf herein. Bei einem menschlichen Gegner wäre mir eventuell die Möglichkeit geblieben, meinen Fehler im letzten Moment zu korrigieren, doch der Lykanthrop war viel zu schnell. Mit einem zornigen Knurren warf er mich um, und ich landete auf dem Rücken. Das Beil flog aus meiner Hand irgendwohin, wo es ebenso gut auf dem Mond hätte liegen können. Die Klauen der Bestie gruben sich in meine Schultern. Roter, scharfer Schmerz durchzuckte mich, und das fratzenhafte Gesicht des Monsters erschien vor meinem Antlitz. Seine Raubtieraugen strahlten Überlegenheit und Triumph aus, während mir sein von Hühner blut getränkter, stinkender Speichel ins Gesicht tropfte.
„Damit hattest du nicht gerechnet, was?“, höhnte eine grollende Stimme, die kaum mehr als die knurrende Idee von Artikulation war.
Das war er also? Der große Augenblick? Das finale Crescendo eines Abenteurerlebens wie des meinen? Hilflos gefangen unter den gierigen Blicken eines Monstrums, unter denen ich die letzten peinvollen Sekunden meiner Niederlage schmecken sollte?
Dann ertönte der Knall, und im selben Atemzug wich alles Leben aus dem Blick des Lykanthropen. Eine blutige Fontäne stob aus seiner Schläfe, während sein Kopf zur Seite ruckte und der vor Kraft strotzende, behaarte Leib über mir kollabierte.
Salandar!
Gute Güte, er hatte sich ganz schön Zeit gelassen.
Ich stöhnte und begann, den stinkenden Kadaver von mir herunterzuschieben, sodass ich mich aufrappeln konnte. Neben mir stöhnte Hagen, war aber noch weit davon entfernt, die Augen aufzuschlagen. Ich kroch zu ihm hin und ohrfeigte ihn solange, bis er die Lider hob und mich mit verklärtem Blick anstarrte.
„Hasse ’ n er... erwischt?“, fragte er benommen.
Ich schüttelte den Kopf.
„Salandar“, sagte ich.
„Mistkerl“, lallte Hagen bedeutungsvoll, dann machte er Anstalten, wieder ohnmächtig zur Seite wegzukippen.
„He, he, wach bleiben!“, tönte ich und begann, ihn wieder zu ohrfeigen.
„ ’ s ja gut ... ja gut“, murmelte Hagen und schüttelte sich wie ein nasser Hund.
In der Nähe ertönten laute Schritte. Als ich den Kopf drehte, sah ich Salandar über den Hof zu uns rennen, sein französisches Steinschlossgewehr baumelte an einem Riemen über dem Rücken des dicken Mannes. Trotz aller meiner früheren Einwände musste ich nun anerkennen, dass das Scharfschützenutensil tatsächlich die immense Investition wert gewesen war.
„Danke“, rief ich ihm entgegen. „Du hättest dir auch nicht viel mehr Zeit zum Zielen nehmen dürfen.“
„Entschuldige“, meinte er
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