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Lange Finger - flinke Beine

Lange Finger - flinke Beine

Titel: Lange Finger - flinke Beine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ecke
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Schatten marschierte eine Kompanie Bleisoldaten in napoleonischen Uniformen, gefolgt von einem aus Elfenbein geschnitzten Elefanten.
    Überall Berge von Zeitungen, Fotos und Büchern. Jeder Stapel wurde gekrönt von einer Milchtüte.
    Auf einem Stoß Monatshefte stand eine englische Fadenpendeluhr, deren Klicken nur ein abgeklärter, nicht zur Nervosität neigender Mensch ertragen konnte.
    Ein Mensch wie Hiller!
    Hiller war halb Redakteur, halb Reporter.
    Ständig regte sich irgend jemand über ihn auf, fühlte sich beleidigt, falsch zitiert oder unfair angegriffen. Doch noch nie war es jemandem gelungen, Fred Hiller eine Lüge nachzuweisen.
    Seine Beiträge und Reportagen waren in der Regel brillant geschrieben; geistreich und voller Witz. Oft auch ironisch und manchmal gespickt mit Boshaftigkeiten. Saß Hiller am Schreibtisch, klemmte meist ein Strohhalm zwischen seinen Zähnen, mit dem er immer wieder eintauchte in eine der herumstehenden Milchtüten. War sie leer, was eine Art gurgelndes Schmatzgeräusch anzeigte, stellte er sie achtlos auf die nächste Erhebung auf seinem Schreibtisch. Der Putzfrau blieb es Vorbehalten, am Abend bis zu sechs oder sieben leere Halblitertüten wegzuräumen.
    Das Telefon klingelte.
    Hiller schien es nicht zu hören — oder aber nicht hören zu wollen.
    Nach dem sechsten Klingeln unterbrach Elli ihr Maschinengehacke.
    »Fred, das Telefon!« rief sie Hiller zu, der ihr daraufhin freundlich zunickte.
    »Wunderbar«, sagte er, und in seinen Augen blitzte es ironisch auf, »wunderbar, daß wenigstens dein Gehör noch funktioniert.«
    Elli nahm die Brille von der Nase.
    »Willst du damit etwas Bestimmtes andeuten?«
    »Ganz recht«, erwiderte Hiller und ignorierte auch weiterhin das Rasseln der Telefonklingel.
    »Nachdem du schon deinen Geruchssinn verloren hast...« Ein Schulterzucken beendete die Feststellung. Aber Elli Kretzki wußte auch so, worauf ihr Kollege anspielte.
    »Ich kann nichts dafür, wenn du nicht auf Jasmin stehst.«
    »Immerhin könntest du eine andere Sorte probieren.« Das Telefon schwieg für einen Augenblick. Anscheinend schien der Anrufer nicht mehr sicher zu sein, auch die richtige Nummer gewählt zu haben.
    Als es erneut läutete, nahm Fred Hiller den Hörer ab und meldete sich. Dann nickte er und sagte: »Guten Morgen, Chef!« Wieder lauschte er einige Augenblicke, um dann leicht gereizt zu erwidern: »Nein, ich habe gerade die Story über den verschwundenen Lottomillionär abgeschlossen.«
    Schweigen — Lauschen.
    »Jetzt?«
    Die Antwort mußte ja geheißen haben, denn wieder nickte Hiller. »Ich bin bereits unterwegs!«
    Er hielt den Hörer über die Gabel und ließ ihn aus zehn Zentimeter runterfallen.
    Elli zeigte ihre Zähne, eine Art Lächeln, das mehr erschreckte als ansteckend wirkte.
    »Hat dich der Chef Böses wissen lassen?«
    »Hat dich der Chef Böses wissen lassen?« äffte Hiller Frage und Tonfall nach. »Warum gehst du mit deiner Fabulierkunst nicht in die Politik, Elli?«
    »Wer weiß, vielleicht tue ich es eines Tages.«
    »Er hat mich nichts Böses wissen lassen, aber er hatte wieder diesen >Das-kann-alles-sein-Unterton< in der Stimme. Bin ich mir irgendeiner Schuld bewußt, Elli?«
    Elli Kretzki nagte ein paar Atemzüge lang nachdenklich an ihrem Brillenbügel, dann schüttelte sie den Kopf. »Eigentlich nicht... Es sei denn, du hast privat jemandem die Zehen breitgetreten.«
    »Wenn ich es mir recht überlege, war ich doch in letzter Zeit nur mit dem Lottokönig beschäftigt.«
    »Und mit der Reportage über die Umweltschützer.«
    Hiller zuckte mit den Schultern. »Ich wüßte nicht, wer sich da hätte über mich beschweren können. Na, und wennschon... Wollte ja schon lange mal die Zeitung wechseln.«
    Elli Kretzki seufzte. »Diesen Spruch höre ich jetzt schon seit fünf Jahren. Denk daran, was du dem Chef versprochen hast.«
    »Hab’ ich was versprochen?«
    »Ja, daß du bereits unterwegs seiest!«
    Hiller nickte und erhob sich. »Muß ich vergessen haben. Sollte ich in zwei Stunden noch nicht zurück sein, sitze ich in der Kantine und bemitleide mich... «
    Elli wandte sich wieder ihrer Arbeit zu, während Fred Hiller den Weg zur Tür einschlug.

    Arthur Mollenbek, der Chefredakteur der »Wochenpost«, warf unwillig den Bleistift auf die Schreibtischplatte, legte seine Stirn in aggressive Falten und rekelte seine zweieinhalb Zentner zurecht. Alles an ihm war rund, prall und rosig. Doch seine Augen blickten klug und wissend drein,

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