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Lange Zähne

Lange Zähne

Titel: Lange Zähne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Moore
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noch einmal stricken, sobald sie ihn ganz
aufgetrennt hatte. Neben der Strickerin saß ein alter Mann mit Tweedanzug und
wollener Jagdmütze, der einen Gehstock zwischen seinen Knien festhielt. Alle
paar Augenblicke wurde er von einem rasselnden Hustenanfall geschüttelt.
Anschließend rang er nach Luft, während er sich die Augen mit einem seidenen
Taschentuch trocknete. Als er bemerkte, daß Jody ihn ansah, lächelte er
entschuldigend.
    »Nur eine Erkältung«, erklärte er.
    Nein, es ist etwas weit
Schlimmeres als eine Erkältung, dachte Jody. Du stirbst. Woher weiß ich das?
Ich weiß nicht, woher ich das weiß, aber ich weiß es. Sie lächelte den alten Mann
an, dann drehte sie sich um und sah aus dem Fenster.
    Der Bus fuhr jetzt durch North
Beach. Die Straßen wimmelten von Seeleuten, Pennern und Touristen. Um jeden
konnte Jody eine schwache rote Aura und Wärmespuren sehen, die hinter ihnen her
waberten, wenn sie sich bewegten. Sie schüttelte den Kopf, um ihren Blick zu
klären, dann sah sie sich die Leute im Bus an. Ja, jeder von ihnen hatte eine
Aura, wenn auch einige heller waren als andere. Den alten Mann in dem
Tweedanzug umgab neben der Wärme-Aura auch noch ein schwarzer Ring. Jody rieb
sich die Augen und dachte: Ich muß mir den Kopf gestoßen haben. Ich werde eine
Computertomographie und ein EEG machen lassen müssen. Das wird ein Vermögen
kosten. Der Firma wird das gar nicht gefallen. Vielleicht kann ich meinen
eigenen Antrag bearbeiten und ihn durchboxen. Auf alle Fälle werde ich mich für
den Rest der Woche krank melden. Und dann ist ein Einkaufsbummel fällig, wenn
ich erstmal mit dem Krankenhaus und der Polizei durch bin. Ein richtig
ausgedehnter Einkaufsbummel. Außerdem werde ich eine Weile nicht tippen können.
    Sie blickte auf ihre verbrannte
Hand und hatte abermals das Gefühl, daß sie ein wenig abgeheilt wäre. Ich werde
trotzdem die Woche freinehmen, entschied Jody.
    Der Bus hielt an Fisherman's Wharf
und Giradelli Square. Gruppen von Touristen in neonfarbenen Nylonshorts und
Alcatraz-T-Shirts stiegen ein und plapperten auf französisch und deutsch,
während sie suchend mit ihren Fingern auf Stadtplänen entlangfuhren. Jody
konnte Schweiß und Seife riechen, das Meer, gekochte Krebse, Schokolade und
Schnaps, gebratenen Fisch, Zwiebeln, Sauerteigbrot, Hamburger und Auspuffgase -
Gerüche, die die Touristen verströmten. So hungrig sie auch war, beim Geruch
von Essen wurde ihr übel.
    Ihr dürft während eures Besuchs in
San Francisco gern auch mal duschen, wütete Jody im stillen.
    Als der Bus die Van Ness
hinauffuhr, stand Jody auf und drängelte sich durch die Touristen zum Ausgang.
Ein paar Blocks weiter hielt der Bus an der Chestnut Street. Jody warf einen
letzten Blick über ihre Schulter. Die Frau mit den Mickey-Maus-Ohren starrte
friedlich aus dem Fenster. •Mann«, sagte Jody. »Seht euch nur mal all diese
Parkplätze an!«
    Als sie aus dem Bus ausstieg,
konnte Jody die Frau rufen hören: »Parkplatz! Parkplatz!«
    Jody lächelte. Warum habe ich das
jetzt getan?

 
3. KAPITEL
    Blut ist
dicker als Liebe
     
    Schnappschüsse um Mitternacht:
Eine beleibte Frau mit einer Gaspistole, die einen Pudel Gassi führt ; ein älteres Schwulenpärchen, das im Macho-Gang in Designer-Jeans dahinmarschiert ; eine Collegestudentin, die auf ihrem Mountain-Bike vorbeiradelt - gefolgt von
Strähnen einer Spliß-Dauerwelle und einem Flirren roter Wärme ; Fernseher, die in Hotels und Wohnungen flimmern ; das Geräusch von
Wasserboilern und Waschmaschinen ; der Wind, der mit den
Platanenblättern raschelt und durch die Tannen pfeift ; eine Ratte,
die ihr Nest in einer Palme verläßt - Krallen, die den Stamm hinunterhuschen.
Gerüche: Angstschweiß von der Pudel-Frau, Rosenwasser, Ozean, Baumsaft, Ozon,
Öl, Auspuffgase und Blut - heiß und süß wie Eisen mit Zuckerkruste.
    Es waren nur drei Blocks von der
Bushaltestelle bis zu dem vierstöckigen Gebäude, in dem sie sich mit Kurt ein
Apartment teilte, aber für Jody schienen es Meilen und Abermeilen. Es war nicht
Erschöpfung, sondern Angst, die die Strecke verlängerte. Jody hatte gedacht,
sie hätte ihre Angst vor der Stadt vor langer Zeit verloren, aber da war sie
wieder: Immer wieder warf sie nervöse Blicke über die Schulter, während sie
schnell und zielstrebig, ohne jedoch zu rennen, voranschritt.
    Sie überquerte die Straße zu ihrem
Block und sah Kurts Jeep vor dem Gebäude parken. Sie suchte nach ihrem Honda,
aber er war verschwunden.

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