Langoliers
wollten Sie nach Boston, Nick? Gestehen Sie. Es ist schon spät.«
Nick sah ihn lange Zeit nachdenklich an, dann lachte er. »Nun, warum nicht?« fragte er, aber Brian war nicht so dumm zu denken, dass diese Frage an ihn gerichtet war. »Was bedeuten schon die Worte Streng geheim, wenn man gerade ein paar Killer-Medizinbälle gesehen hat, die die Welt wie einen alten Teppich aufrollen?«
Er lachte wieder.
»Die Vereinigten Staaten haben nicht gerade das Monopol auf schmutzige Tricks und geheime Unternehmen«, erzählte er Brian. »Wir Limeys haben mehr garstigen Verdruss verdrängt, als ihr Johnnies je lernen werdet. Wir haben in Indien, Südafrika, China und dem Teil von Palästina herumgedoktert, der zu Israel wurde. Damals haben wir uns entschieden auf einen Pißwettbewerb mit den falschen eingelassen, was? Dennoch glauben wir Briten mit Leib und Seele an Mantel und Degen, und der legendäre MI-5 ist nicht das Ende, sondern erst der Anfang. Ich habe achtzehn Jahre bei den Streitkräften gedient, Brian – die letzten fünf beim Special Air Service. ›Wer wagt gewinnt, und so weiter. Seither habe ich verschiedene seltsame Aufgaben übernommen, manche auf unschuldige, manche auf geradezu legendär garstige Weise.«
Mittlerweile war es ganz dunkel draußen, die Sterne glänzten wie Pailletten auf dem Abendkleid einer Dame.
»Ich war in Los Angeles – tatsächlich im Urlaub –, als man mit mir Kontakt aufgenommen und mir befohlen hat, nach Boston zu fliegen. Ich bekam den Befehl äußerst kurzfristig, und nachdem ich vier Tage mit dem Rucksack in den San Gabriels unterwegs gewesen war, fiel ich todmüde um. Darum habe ich tief und fest geschlafen, als das ›Ereignis‹ eingetreten ist.
Sehen Sie, in Boston ist ein Mann … oder war … oder wird sein – eine Zeitreise schüttelt die alten grammatikalischen Zeiten ganz schön durcheinander –, der eine Art Politiker ist. Der Typ, der nachdrücklich hinter den Kulissen wirkt und schafft. Dieser Mann – ich will ihn der Einfachheit halber Mr. O’Bannion nennen – ist sehr reich, Brian, und er ist überzeugter Förderer der Irisch Republikanischen Armee. Er hat Millionen Dollar in eine Organisation gepumpt, die viele gerne als Bostons liebste Wohlfahrtseinrichtung bezeichnen, und er hat eine Menge Blut an den Händen kleben. Nicht nur britische Soldaten, sondern auch Kinder auf Schulhöfen, Frauen in Wäschereien und Babys, die zerfetzt aus ihren Kinderwagen gepustet wurden. Er ist ein Idealist der gefährlichsten Sorte: einer, der das Gemetzel nie aus erster Hand sehen musste, der nie ein abgerissenes Bein im Rinnstein liegen sah und gezwungen war, sein Tun im Licht dieser Erfahrung neu einzustufen.«
»Sie sollten diesen O’Bannion ermorden.«
»Nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ«, sagte Nick ruhig. »Er ist sehr wohlhabend, aber er ist nicht das einzige Problem. Sehen Sie, er ist der totale Politiker und hat mehr Finger als denjenigen, mit dem er in Irland den Topf umrührt. Er hat eine Menge einflussreicher amerikanischer Freunde, und manche seiner Freunde sind unsere Freunde … so ist das nun mal in der Politik; eine Katzenwiege, welche von Männern erschaffen wurde, die größtenteils in die Gummizelle gehören. Mr.
O’Bannion zu ermorden, wäre ein großes politisches Risiko. Aber er hält sich nebenbei noch eine Muschi. Und die sollte ich ermorden.«
»Als Warnung«, sagte Brian mit leiser, faszinierter Stimme.
»Ja. Als Warnung.« Fast eine ganze Minute verstrich, während die beiden Männer im Cockpit saßen und einander ansahen. Nur das schläfrige Dröhnen der Jets war zu hören. Brians Augen waren schockiert irgendwie sehr jung. Nick sah nur erschöpft drein.
»Wenn wir hier rauskommen«, sagte Brian schließlich, »wenn wir zurückkehren, ziehen Sie es dann durch?«
Nick schüttelte den Kopf. Er machte es langsam, aber sehr sehr endgültig. »Ich glaube, ich hatte etwas, das fromme Narren eine Bekehrung nennen, mein alter Freund. Keine mitternächtlichen Schleichtouren oder extrem gefährliche Aufträge mehr für Mrs. Hopewells Jungen Nicholas. Wenn wir hier rauskommen – eine Tatsache, die mir derzeit noch etwas fraglich erscheint –, werde ich wohl in den Ruhestand gehen.«
»Und was machen?«
Nick sah ihn einen oder zwei Augenblicke nachdenklich an, dann sagte er: »Nun … ich denke, ich könnte Flugunterricht nehmen.«
Brian prustete vor Lachen. Nach einem Moment stimmte Mrs. Hopewells Junge Nicholas darin
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