Langoliers
Dessen Fenster rasten vorüber wie eine Reihe blinder Augen.
Dann rollten sie auf das Terminalgebäude von United zu, wo mindestens ein Dutzend Flugzeuge wie stillende Säuglinge an ausgefahrenen Jetways parkten. Die Geschwindigkeit der 767 lag jetzt unter fünfunddreißig.
»Festhalten!« brüllte Brian ins Bordfunkmikrofon und vergaß vorübergehend, dass sein eigenes Flugzeug jetzt so tot wie alle anderen und der Bordfunk nutzlos war. »Bereiten Sie sich auf eine Kollision vor! Ber …«
American-Pride-Flug Nr. 29 raste ins Tor 29 des Flughafengebäudes von United Airlines und hatte immer noch etwa neunundzwanzig Meilen pro Stunde drauf. Einem lauten, hohlen Knall folgte das Geräusch von knickendem Metall und berstendem Glas. Brian wurde wieder in den Sicherheitsgurt geschleudert und dann in den Sitz zurückgerissen. Er saß einen Augenblick starr da und wartete auf die Explosion … dann fiel ihm ein, dass nichts mehr in den Tanks war, das explodieren konnte.
Er schaltete sämtliche Tasten des Armaturenbretts auf Aus – das Armaturenbrett war tot, aber die Gewohnheit war tief verwurzelt –, dann drehte er sich auf dem Sitz um und war halb davon überzeugt, dass er Laurel Stevenson mit gebrochenem Genick der Länge nach in der Ecke liegen sehen würde. Aber sie hatte sich auf dem Sitz des Navigators angeschnallt, wo Nick den Großteil dieses Fluges verbracht hatte. Sie sah ihn mit dumpfen, apathischen Augen an.
»Das war so knapp, wie ich es nie wieder machen will«, sagte, Brian unsicher.
»Sie hätten eine Bruchlandung machen sollen. Was wir versucht haben … Dinah … Nick … alles umsonst. Es ist dasselbe hier. Genau dasselbe.«
Brian machte den Sicherheitsgurt auf und erhob sich unsicher. Er nahm ein Taschentuch aus der Gesäßtasche und gab es ihr. »Wischen Sie sich die Nase ab. Sie blutet.«
Sie nahm das Taschentuch und sah es nur an, als hätte sie noch nie im Leben eins gesehen.
Brian ging an ihr vorbei und stapfte langsam in die Hauptkabine. Er blieb unter der Tür stehen und zählte Nasen. Seine Passagiere – die wenigen, die verblieben waren – schienen in Ordnung zu sein. Bethany hatte den Kopf an Alberts Brust gedrückt und schluchzte heftig. Rudy Warwick machte den Gurt auf, erhob sich, stieß sich den Kopf oben am Gepäckfach an und setzte sich wieder. Er sah Brian mit benommenen, verständnislosen Augen an. Brian fragte sich, ob Rudy immer noch Hunger hatte. Er glaubte es nicht.
»Verlassen wir das Flugzeug«, sagte Brian.
Bethany hob den Kopf. »Wann kommen sie?« fragte sie ihn hysterisch. »Wie lange dauert es diesmal, bis die Langoliers kommen? Kann sie schon jemand hören?«
Frische Schmerzen rasten durch Brians Kopf, er schwankte auf den Füßen und war plötzlich ziemlich sicher, dass er bewusstlos werden würde.
Ein stützender Arm legte sich um seine Taille, und er drehte sich überrascht um. Es war Laurel.
»Kapitän Engle hat recht«, sagte sie leise. »Verlassen wir das Flugzeug. Vielleicht ist es nicht so schlimm, wie es aussieht.«
Bethany stieß eine hysterische Lachsalve aus. »Wie schlimm kann es denn aussehen?« wollte sie wissen. »Wie schlimm kann es denn …«
»Etwas ist anders«, sagte Albert plötzlich. Er sah zum Fenster hinaus. »Etwas hat sich verändert. Ich kann nicht sagen, was es ist … aber es ist nicht wie vorher.« Er sah erst Bethany an, dann Brian und dann Laurel. »Es ist einfach anders.«
Brian bückte sich neben Bob Jenkins und sah zum Fenster hinaus. Er sah nichts, das sich nennenswert vom BIA unterschieden hätte – es waren selbstverständlich mehr Flugzeuge, aber sie waren ebenso verlassen, ebenso tot –, und doch spürte er, dass Albert recht haben konnte, nichtsdestotrotz. Es war mehr ein Gefühl als etwas tatsächlich Sichtbares. Ein entscheidender Unterschied, den er nicht ganz fassen konnte. Er tanzte knapp außerhalb seiner Reichweite, wie der Name des Parfüms seiner Exfrau.
Es ist L’Envoi, Liebling. Das habe ich immer aufgelegt, weißt du nicht mehr?
Weißt du nicht mehr?
»Kommt«, sagte er. »Dieses Mal benützen wir den Cockpitausgang.«
32
Brian machte die Falltür auf, die unter dem Vorsprung des Armaturenbretts lag, und versuchte sich zu erinnern, warum er sie nicht benützt hatte, um seine Passagiere auf dem Bangor International aussteigen zu lassen; sie war viel leichter zu benützen als die Rutsche. Es schien keinen Grund zu geben. Er hatte einfach nicht daran gedacht, wahrscheinlich weil er
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