Langoliers
sogar wahrscheinlich, dass John Shooter (wenn er wirklich so heißt, fügte sein Verstand beharrlich hinzu) versucht hatte, in Derry mit ihm Kontakt aufzunehmen, bevor er hier hergekommen war. Immerhin verbrachte er diese Jahreszeit normalerweise in Derry. Vielleicht hatte Amy ihn sogar hier hergeschickt. Darüber hinaus bestand die Möglichkeit, dass Shooter versucht hatte, in Derry mit ihm Verbindung aufzunehmen, als er vor zwei Jahren in Florida gewesen war – bei den Dreharbeiten von Token Murder, dem Film, den sie nach seinem vorletzten Roman gedreht hatten. Wenn ja, erinnerte sich Amy vielleicht an den Namen.
»Ich wusste es«, sagte sie. »Hast du dich mit der verdammten Motorsäge verletzt? Oder …«
»Nichts, was ärztliche Behandlung erfordern würde«, sagte er und lächelte verhalten. »Nur ein Ärgernis. Bringt der Name John Shooter ein Glöckchen bei dir zum Läuten, Amy?«
»Nein, warum?«
Er stieß einen erbosten kleinen Seufzer wie Dampf zwischen den Zähnen hervor. Amy war eine kluge Frau, aber hatte immer einen kleinen Kurzschluss zwischen Gehirn und Mund. Er erinnerte sich, einmal hatte er gedacht, sie müsste ein T-Shirt mit der Aufschrift SPRICH JETZT, DENK SPÄTER tragen. »Sag nicht wie aus der Pistole geschossen nein. Lass dir ein paar Sekunden Zeit und denk wirklich darüber nach. Der Typ ist ziemlich groß, etwa einsachtzig, und ich schätze ihn auf Mitte Vierzig. Er hat eine Art Bauerngesicht. Braungebrannt, viele Runzeln. Als ich ihn gesehen habe, dachte ich sofort, er sieht aus wie eine Romanfigur von William Faulkner …«
»Was soll das alles, Mort?«
Jetzt erinnerte er sich wieder ganz deutlich; jetzt verstand er wieder, warum er, so verletzt und verwirrt er gewesen war, dem Wunsch – überwiegend in der Nacht – widerstanden hatte, sie zu fragen, ob sie nicht wenigstens versuchen konnten, ihre Differenzen beizulegen. Er vermutete, wenn er lange und drängend genug gefragt hätte, wäre sie einverstanden gewesen. Aber Tatsachen waren Tatsachen; mit ihrer Ehe hatte wesentlich mehr nicht gestimmt als Amys Grundstücksmakler. Der schrille Klang, den ihre Stimme jetzt angenommen hatte – das war auch ein Symptom für das, was sie auseinander gebracht hatte. Was hast du denn jetzt schon wieder angestellt? fragte dieser Klang unter den Worten. In was für ein Schlamassel hast du dich nun schon wieder gebracht? Erklär mir das.
Er machte die Augen zu und zischte wieder Luft zwischen den zusammengebissenen Zähnen hindurch, bevor er antwortete. Dann erzählte er ihr von John Shooter, Shooters Manuskript und seiner eigenen Kurzgeschichte. Amy konnte sich deutlich an ›Zeit zu säen‹ erinnern, sagte aber, von einem Mann namens John Shooter hätte sie noch nie etwas gehört – das war ein Name, den man nicht so leicht vergaß, sagte sie, und Mort war geneigt, dem zuzustimmen –, in ihrem ganzen Leben nicht. Und sie hatte Shooter bestimmt nicht gesehen.
»Bist du sicher?« drängte Mort.
»Ja, das bin ich«, sagte Amy. Sie hörte sich an, als würde sie Morts anhaltende Fragen missbilligen. »Ich habe so jemand bestimmt nicht gesehen, seit du weggegangen bist. Und bevor du mich wieder ermahnst, nicht wie aus der Pistole geschossen zu antworten, möchte ich dir versichern, dass ich mich sehr deutlich an fast alles erinnern kann, was seither passiert ist.«
Sie machte eine Pause, und ihm wurde klar, dass sie jetzt unter Anstrengung weitersprach, möglicherweise unter echten Schmerzen. Der kleine, gemeine Teil in ihm jubilierte. Aber der größte Teil von ihm nicht; der größte Teil von ihm war angewidert festzustellen, dass auch nur ein winziger Teil von ihm glücklich darüber sein konnte. Das hatte jedoch keinerlei Auswirkungen auf den innerlich Jubelnden. Dieser Typ konnte vielleicht überstimmt werden, aber er schien auch unberührt von Morts – des größeren Mort – Versuchen, ihn auszumerzen.
»Vielleicht hat Ted ihn gesehen«, sagte er. Ted Milner war der Grundstücksmakler. Er konnte immer noch kaum glauben, dass sie ihn wegen eines Grundstücksmaklers hinausgeworfen hatte, und er vermutete, dass das ein Teil des Problems war, Teil der Eitelkeit, aufgrund derer sich alles überhaupt erst bis zu diesem Punkt entwickelt hatte. Er wollte ja sicher nicht behaupten, schon gar nicht sich selbst gegenüber, dass er selbst so unschuldig wie ein kleines Lamm gewesen war, oder?
»Soll das komisch sein?« Amy hörte sich wütend, beschämt, traurig und trotzig an – alles
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