Langoliers
du eine Ausgabe des Magazins in Händen hast.«
»Ich verspreche es«, antwortete Mort sofort. Er schwindelte wieder ein wenig, aber zum Teufel – er hatte Greg gefragt, ob er mitkommen wollte, wenn es soweit war, und Greg hatte eingewilligt, also würde er nicht allein sein. Und schließlich war Herb Creekmore sein literarischer Agent, nicht sein Vater. Wie Mort mit seinen persönlichen Problemen fertig wurde, ging Herb eigentlich nichts an.
»Okay«, sagte Herb. »Ich kümmere mich darum. Ruf mich aus Derry an, Mort – vielleicht ist es gar nicht so schlimm, wie es aussieht.«
»Das würde ich auch gerne glauben.«
»Aber du glaubst es nicht?«
»Ich fürchte, nein.«
»Okay.« Herb seufzte. Dann fügte er schüchtern hinzu: »Würde es dir etwas ausmachen, Amy Grüße von mir zu bestellen?«
»Nein, mach ich.«
»Gut. Und jetzt geh aus dem Wind, Mort. Ich kann ihn im Hörer heulen hören. Du musst erfrieren.«
»Kurz davor. Nochmals danke, Herb.«
Er legte auf und betrachtete das Telefon nachdenklich einen Augenblick. Er hatte vergessen, dass der Buick voll getankt werden musste, das war eine Kleinigkeit; aber er hatte auch vergessen, dass Herb Creekmore erst 1982 sein Agent geworden war, und das war keine Kleinigkeit. Zuviel Belastung, vermutete er. Er fragte sich, was er sonst noch alles vergessen hatte.
Die Stimme in seinen Gedanken, nicht die aus der Gehirnmitte, sondern die aus den tieferen Regionen, meldete sich plötzlich zu Wort: Wie ist das denn überhaupt mit dem Diebstahl dieser Geschichte? Vielleicht hast du das auch vergessen.
Er schnaubte ein Lachen und eilte zum Auto zurück. Er war in seinem ganzen Leben noch nicht in Mississippi gewesen, und selbst jetzt, wo er eine Schreibsperre hatte, war er noch einen weiten Weg davon entfernt, sich zu einem Plagiat herabzulassen. Er schlüpfte hinter das Lenkrad und ließ den Motor an, wobei er überlegte, dass der Verstand eines Menschen ab und zu einmal eine seltsame Scheiße zustande brachte.
18
Mort glaubte nicht, dass Menschen – nicht einmal die, die ziemlich ehrlich zu sich selbst waren – je wussten, wenn etwas vorbei war. Er war überzeugt, dass sie häufig weiter glaubten, oder zu glauben versuchten, auch wenn die Schrift nicht nur an der Wand stand, sondern obendrein in Buchstaben, die groß genug waren, dass man sie ohne Fernglas aus hundert Meter Entfernung sehen konnte. Wenn es etwas war, das einem wirklich etwas bedeutete, das man wirklich brauchte, war es leicht zu betrügen, leicht, sein Leben mit dem Fernsehen zu verwechseln und zu glauben, dass letztendlich in Ordnung kommen würde, was in Unordnung zu sein schien … wahrscheinlich gleich nach den nächsten Werbespots. Er glaubte, ohne ihre große Kapazität der Selbsttäuschung wäre die menschliche Rasse wahrscheinlich noch verrückter, als sie ohnehin war.
Aber manchmal brach die Wahrheit durch, und wenn man bewusst versucht hatte, zu träumen und sich diese Wahrheit nicht einzugestehen, konnten die Folgen verheerend sein: Es war, als wäre man dabei, wenn eine gigantische Flutwelle nicht nur über, sondern regelrecht durch einen Damm raste, der in ihrem Weg lag, und diesen samt einem selbst zerschmetterte.
Mort Rainey erlebte so eine katastrophale Offenbarung, als die Angehörigen von Polizei und Feuerwehr gegangen und er und Amy und Ted Milner allein waren und langsam um die rauchenden Trümmer des grünen viktorianischen Hauses herumgingen, das hundertsechsunddreißig Jahre in der Kansas Street Nr. 92 gestanden hatte. Während sie diesen traurigen Rundgang machten, wurde ihm klar, dass seine Ehe mit der geborenen Amy Dowd aus Portland, Maine, endgültig vorbei war. Es war keine ›Zeit ehelicher Belastung‹. Es war keine ›Trennung auf Probe‹. Es würde kein Fall sein, von denen man manchmal hörte, bei denen alle Beteiligten einsahen, dass ihre Entscheidung falsch gewesen war, und wieder heirateten. Es war vorbei. Ihr gemeinsames Zusammenleben gehörte der Vergangenheit an. Selbst das Haus, in dem sie so viele Jahre verbracht hatten, war nur noch ein böse schwelender Haufen eingestürzter Balken, die wie Zähne eines Riesen ins Kellerloch gestürzt waren.
Ihr Treffen im Marchman’s, dem kleinen Cafe in der Witcham Street, war gut verlaufen. Amy hatte ihn umarmt, und er sie auch, aber als er sie auf den Mund küssen wollte, hatte sie den Kopf geschickt abgewandt, so dass der Kuss statt dessen auf ihrer Wange landete. Küßchen-Küßchen, wie sie bei
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