Langoliers
Wie heißen Sie?«
»Laurel Stevenson«, sagte die dunkelhaarige Frau. Ihre Augen studierten immer noch die Hauptkabine, und ihr Gesicht schien den anfänglichen Ausdruck nicht ablegen zu können: ungläubige Fassungslosigkeit.
»Laurel, das ist doch eine Blume, oder nicht?« fragte Dinah. Sie sprach mit fiebernder Lebhaftigkeit.
»Hm-hmm«, sagte Laurel. Sie sah keinen Grund, dem kleinen Mädchen zu sagen, dass es auch der Name der Stadt war, in der George Wallace, damals Gouverneur von Alabama, vor Jahren von einem Verrückten zum Krüppel geschossen worden war.
»Pardon«, sagte der Mann mit der Hornbrille und dem britischen Akzent. »Ich gehe nach vorne und leiste unserem Freund Gesellschaft.«
»Ich komme mit«, sagte der ältere Mann im roten Hemd.
»Ich will wissen, was hier los ist!« rief der Mann im Rollkragenpullover plötzlich aus. Sein Gesicht war totenblass, abgesehen von zwei Flecken wie Rouge auf den Wangen. »Ich will auf der Stelle wissen, was hier los ist!«
»Und ich bin kein bisschen überrascht«, sagte der Brite und setzte sich in Bewegung. Der Mann im roten Hemd folgte ihm. Das Teenagermädchen mit dem weggetretenen Gesichtsausdruck ging eine Weile mit ihnen, aber an der Trennwand zwischen Hauptkabine und Business Class blieb sie stehen, als wüsste sie nicht genau, wo sie sich befand.
Der ältere Herr im zerschlissenen Mantel ging zum Backbordfenster, bückte sich und sah hinaus.
»Was sehen Sie?« fragte Laurel Stevenson.
»Dunkelheit und Berge«, antwortete der Mann im Mantel.
»Die Rockies?« fragte Albert.
Der Mann im zerschlissenen Mantel nickte. »Ich glaube ja, junger Mann.«
Albert beschloss, selbst nach vorne zu gehen. Er war sechzehn, hochintelligent und die große Preisfrage des heutigen Abends war ihm auch gekommen: Wer flog das Flugzeug?
Dann entschied er, dass das keine Rolle spielte … wenigstens momentan nicht. Sie flogen ohne Störungen dahin, also saß wahrscheinlich jemand am Steuerknüppel, und selbst wenn sich dieser Jemand als etwas erwies, mit anderen Worten, als der Autopilot –, konnte er daran nicht das geringste ändern. Als Albert Kaussner war er ein begnadeter Geiger, wenn auch nicht unbedingt ein Wunderkind – auf dem Weg, an der Boston School of Music zu studieren. Als Ace Kaussner war er (jedenfalls in seinen Träumen) der schnellste Hebräer westlich des Mississippi, ein Kopfgeldjäger, der samstags frei nahm, sorgfältig darauf achtete, dass er nicht mit den Schuhen auf dem Bett lag, stets mit einem Auge nach dem Gegner und mit dem anderen nach einem koscheren Cafe an der staubigen Straße Ausschau hielt. Ace war, vermutete er, seine Methode, sich vor liebenden Eltern zu schützen, die ihm nie erlaubt hatten, in der Baseball-Jugendliga zu spielen, damit seine talentierten Hände nicht zu Schaden kamen, und die im Grunde ihres Herzens glaubten, dass jedes Schniefen eine Lungenentzündung ankündigte. Er war Geiger und Revolvermann – eine interessante Kombination –, aber vom Fliegen und Flugzeugsteuern hatte er keine Ahnung. Und das kleine Mädchen hatte etwas gesagt, das ihn gleichzeitig fasziniert und ihm das Blut hatte gefrieren lassen. Ich habe sein Haar gespürt! hatte sie gesagt. Jemand hat sein HAAR abgeschnitten!
Er entfernte sich von Dinah und Laurel (der Mann im abgewetzten Sportmantel war zur Steuerbordseite des Flugzeugs gegangen, um zum Fenster hinauszusehen, und der Mann im Rollkragenpullover, der den Kopf entschlossen nach vorne reckte, wollte sich zu den anderen gesellen) und ging den Weg entlang der Backbordseite zurück.
Jemand hat sein HAAR abgeschnitten! hatte sie gesagt, und wenige Reihen später wurde Albert klar, was sie gemeint hatte.
2
»Ich bete, Sir«, sagte der Brite, »dass die Pilotenmütze, die ich auf einem Sitz in der ersten Klasse gesehen habe, Ihnen gehört.«
Brian stand mit gesenktem Kopf vor der Tür des Cockpits und dachte angestrengt nach. Als der Brite hinter ihm sprach, zuckte er erschrocken zusammen und wirbelte auf den Absätzen herum.
»Ich wollte Sie nicht erschrecken«, sagte der Brite gelassen. »Ich bin Nick Hopewell.« Er streckte die Hand aus.
Brian schüttelte sie. Während er das tat und damit diesem uralten Ritual Genüge leistete, kam ihm der Gedanke, dass dies ein Traum sein musste. Der schreckliche Flug von Tokio und die Nachricht von Annes Tod hatten ihn ausgelöst.
Ein Teil seines Verstandes wusste, dass dies nicht so war, ebenso wie ein Teil seines Verstandes gewusst
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