Langoliers
während er die Kaffeemaschine einschaltete. »Ich war der Zweitbeste.«
Ja. Er war der Zweitbeste gewesen, und das hatte ihm gestunken. Er wusste, die meisten Studenten, die Schreibkurse belegten, vertrieben sich nur die Zeit, verfolgten eine Laune, bevor sie die Kindereien aufgaben und sich auf ein Studium oder was auch immer festlegten, das ihren Lebensunterhalt sichern sollte. Im späteren Leben würden die meisten nicht mehr schreiben als Artikel für den ›Gemeindekalender‹ ihrer lokalen Tageszeitung oder Werbeslogans für Geschirrspülmittel Marke Bright Blue Breeze. Mort war mit der unerschütterlichen Zuversicht in Perkins’ Klasse gekommen, er würde der Beste sein, weil es bei ihm nie anders gewesen war. Aus diesem Grund war John Kintner ein unangenehmer Schock für ihn gewesen.
Er erinnerte sich, wie er einmal versucht hatte, mit dem Jungen zu reden … aber Kintner, der im Unterricht nur etwas sagte, wenn er gefragt wurde, hatte sich als fast unfähig sich zu artikulieren erwiesen. Wenn er laut redete, stotterte und haspelte er wie der Junge eines armen Tagelöhners, dessen Schulausbildung mit der vierten Klasse zu Ende war. Offenbar konnte er sich nur richtig ausdrücken, wenn er eine Geschichte schrieb.
Und du hast sie gestohlen.
»Sei still«, murmelte er. »Sei doch still.«
Du warst der Zweitbeste, und das hat dir gestunken. Du warst froh, als er fort war, weil du dann wieder Erster sein konntest. Wie immer.
Ja. Stimmt. Und ein Jahr später, als er sich auf den Abschluss vorbereitete, hatte er den Schrank in der schäbigen Wohnung in Lewiston ausgeräumt, die er mit zwei anderen Studenten teilte, und hatte ein paar Kopien aus Perkins’ Schreibkurs gefunden. In dem Stapel war nur eine Geschichte von Kintner. Das war zufällig ›Hahnenfuß-Meile.‹
Er erinnerte sich, wie er auf dem fadenscheinigen, nach Bier riechenden Teppich in seinem Zimmer saß und die Geschichte las, und dabei war die alte Eifersucht über ihn gekommen. Und was war das Schlimmste gewesen? Nun, dass Kintner besser war. Eindeutig besser. Das war das Schlimmste gewesen.
Er warf die anderen Matritzenabzüge weg, aber die Geschichte hatte er mitgenommen … aus Gründen, die er nicht eingehend untersuchen wollte.
Im zweiten Schuljahr hatte Mort eine Geschichte an eine Literaturzeitschrift mit dem Titel Aspen Quarterly geschickt. Sie kam mit dem Vermerk zurück, die Lektoren hätten sie ziemlich gut gefunden, ›auch wenn der Schluss eher fad war‹. Der Brief, den Mort väterlich und zugleich ungeheuer aufregend fand, forderte ihn auf, weiteres Material einzureichen.
Im Verlauf der nächsten zwei Jahre schickte Mort vier weitere Stories hin. Keine wurde angenommen, aber jede kam mit einem persönlichen Ablehnungsschreiben zurück. Mort machte das Leid eines jeden unveröffentlichten Schriftstellers durch und schwankte zwischen Optimismus und schwärzestem Pessimismus. An manchen Tagen war er sicher, es würde nicht mehr lange dauern, bis er beim Aspen Quarterly den Durchbruch schaffte. Und an manchen Tagen war er überzeugt, dass der gesamte redaktionelle Stab – bis auf den letzten Mann Missgeburten mit bleistiftdünnen Hälsen – nur mit ihm spielte, ihn ärgerte, wie ein Mann einen hungrigen Hund ärgert, indem er ihm ein Stück Fleisch über den Kopf hält und jedes Mal wegreißt, wenn der Hund springt. Manchmal stellte er sich vor, wie einer von ihnen eines seiner Manuskripte hochhielt, frisch aus dem Umschlag, und rief: »Da ist schon wieder was von diesem Pfuscher aus Maine! Wer will diesmal den Brief schreiben?« Und dann prusteten alle los, wälzten sich vielleicht sogar manchmal unter Postern von Joan Baez und Moby Grape in Lachkrämpfen.
An den meisten Tagen erging sich Mort aber nicht in dieser Art trauriger Paranoia. Er wusste, er war gut, und es wäre nur eine Frage der Zeit. In diesem Sommer, als er als Kellner in einem Rockland-Restaurant arbeitete, dachte er wieder an die Geschichte von John Kintner. Er überlegte, dass sie wahrscheinlich immer noch in seiner Kiste war, ganz unten. Plötzlich hatte er eine Idee. Er würde den Titel ändern und ›Hahnenfuß-Meile‹ unter seinem eigenen Namen Aspen Quarterly anbieten. Er wusste noch, er hatte gedacht, damit würde er sich einen tollen Witz mit ihnen machen, aber zurückblickend war ihm nicht mehr klar, was das für ein Witz gewesen sein sollte.
Er konnte sich erinnern, dass er nicht die Absicht hatte, die Geschichte unter seinem Namen zu
Weitere Kostenlose Bücher