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Langoliers

Titel: Langoliers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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und durchaus vernünftig. Seine Mutter hatte Schlaftabletten. Die konnte er nehmen. Diese Aussicht beruhigte ihn etwas, er riss den Umschlag auf und zog ein einziges Blatt heraus. Er hielt es lange gefaltet in der Hand und überlegte, ob er es ungelesen verbrennen sollte. Er war nicht sicher, ob er es ertragen würde, den Vorwurf schwarz auf weiß vor sich zu sehen. Er dachte, es könnte ihn wahnsinnig machen.
    Los doch, verdammt – lies. Du kannst dir wenigstens die Konsequenzen ansehen. Du kannst sie vielleicht nicht ertragen, aber du kannst sie bei Gott ansehen.
    Er hatte den Brief auseinandergefaltet.
     
    Lieber Morton Rainey,
     
    Ihre Kurzgeschichte ›Das Auge der Krähe‹ ist hier ausgesprochen positiv aufgenommen worden. Tut mir leid, dass dieser Brief so lange auf sich warten ließ, aber offen gesagt, wir haben damit gerechnet, von Ihnen zu hören. Sie haben uns im Lauf der Jahre so regelmäßig Material angeboten, dass Ihr Schweigen nun, wo sie es ›geschafft‹ haben, etwas verwirrend ist. Wenn Ihnen etwas an der Art, wie Ihre Geschichte präsentiert wurde – Typographie, Layout, Platzierung usw. – nicht gefallen hat, teilen Sie uns das hoffentlich mit. Wie wäre es bis dahin mit einer neuen Geschichte?
     
    Hochachtungsvoll Ihr

     
    Charles Palmer
    Chefredakteur
     
    Mort hatte diesen Brief zweimal gelesen und dann heisere Lachsalven in das Haus geprustet, das glücklicherweise verlassen war. Er fürchtete, er würde tot umfallen, wenn er nicht bald mit dem Lachen aufhörte. Er war bereit gewesen, sich mit den Schlaftabletten seiner Mutter umzubringen, und sie wollten wissen, ob er nicht zufrieden war, wie sie die Geschichte gesetzt hatten! Er hatte damit gerechnet, feststellen zu müssen, dass seine Karriere zu Ende war, noch ehe sie richtig angefangen hatte, und sie wollten mehr! Mehr!
    Er lachte – heulte sogar –, bis sein Lachen zu hysterischen Tränen führte. Dann setzte er sich auf das Sofa, las Charles Palmers Brief noch einmal und weinte, bis er wieder lachte. Schließlich war er in sein Zimmer gegangen, hatte die Kissen, wie er es gerne tat, hinter dem Kopf aufgeschichtet und war eingeschlafen.
    Er war damit durchgekommen. Das war die Krönung. Er war damit durchgekommen, und er hatte nie wieder etwas Derartiges gemacht, und das alles lag schon etwa tausend Jahre zurück; warum fiel es ihm also ausgerechnet jetzt wieder ein und quälte ihn?
    Er wusste es nicht, nahm sich aber vor, nicht mehr darüber nachzudenken.
    »Und zwar auf der Stelle«, sagte er zu dem leeren Zimmer, schritt hastig zur Kaffeemaschine und versuchte, nicht auf seine Kopfschmerzen zu achten.
    Du weißt, warum du jetzt daran denkst.
    »Sei still.« Er sprach in einem Plauderton, der recht fröhlich war … aber seine Hände zitterten, als er nach der Silex griff.
    Manche Sachen kann man nicht ewig verheimlichen. Du bist vielleicht krank, Mort.
    »Sei still, ich warne dich«, sagte er in seinem fröhlichen Plauderton.
    Du könntest sehr krank sein. Du könntest sogar einen Nervenzusam …
    »Sei still!« schrie er und warf die Silex, so fest er konnte. Sie segelte über die Arbeitsplatte, flog durch das Zimmer, überschlug sich dabei mehrmals, prallte gegen die Fensterwand und fiel tot zu Boden. Er betrachtete die Fensterwand und sah einen langen, silbernen Sprung, der zickzackförmig von unten nach oben verlief. Er fing an der Stelle an, wo die Silex aufgeprallt war. Ihm war wie einem Mann zumute, durch dessen Gehirn ein ähnlicher Riss verlief.
    Aber die Stimme war verstummt.
    Er ging gelassen ins Schlafzimmer, holte den Wecker und ging ins Wohnzimmer zurück. Beim Gehen stellte er den Wecker auf halb elf. Um halb elf würde er zur Post gehen, sein Federal-Express-Päckchen von Herb abholen und sich gelassen daran machen, diesen Alptraum zu beenden.
    Aber bis dahin würde er schlafen. Er würde auf dem Sofa schlafen, wo er immer am besten geschlafen hatte.
    »Ich habe keinen Nervenzusammenbruch«, flüsterte er der leisen Stimme zu, aber die leise Stimme wollte sich nicht auf eine Diskussion einlassen. Mort dachte, dass er der leisen Stimme vielleicht angst gemacht hatte. Er hoffte es, denn die leise Stimme hatte ihm eindeutig angst gemacht.
    Sein Blick fand den silbernen Sprung in der Fensterwand und folgte ihm dumpf. Er dachte daran, wie er den Schlüssel des Zimmermädchens genommen hatte. Wie düster es in dem Zimmer gewesen war, und wie seine Augen einen Moment gebraucht hatten, sich daran zu gewöhnen. Ihre

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