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Langoliers

Titel: Langoliers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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der Wand sah aus wie eine riesige kalte Sonne. Die Tür zum Gang war verschlossen, aber Morton Rainey konnte die Worte auf dem Ornamentglas lesen:
     
    HEIM-TEAM SCHREIBZIMMER
    PROF. DELLACOURT
     
    Sie haben es falsch geschrieben, dachte Mort, zu viele L. Aber eine andere Stimme sagte ihm, dass das nicht stimmte. Mort stand am Kreidekästchen der gigantischen Tafel und streckte sich. Er hatte ein Stück Kreide so groß wie ein Baseballschläger in der Hand. Er wollte den Arm senken, der teuflisch weh tat, konnte es aber nicht. Erst wenn er denselben Satz fünfhundertmal an die Tafel geschrieben hatte: Ich darf nicht von John Kintner abschreiben. Er musste es schon vierhundertmal geschrieben haben, dachte er, aber vierhundertmal reichte nicht. Einem Mann die Arbeit zu stehlen, wenn er nur seine Arbeit hatte, war unverzeihlich. Daher musste er schreiben und schreiben und nicht auf die Stimme in seinem Kopf achten, die ihm sagen wollte, dass dies ein Traum war und sein rechter Arm aus anderen Gründen schmerzte.
    Die Kreide kreischte monströs. Staub, beißend und irgendwie vertraut – so vertraut –, regnete ihm ins Gesicht. Schließlich konnte er nicht mehr weitermachen. Sein Arm sank herunter wie eine Plastiktüte voll Bleischrot. Er drehte sich am Kreidekästchen um und sah, dass nur ein einziges Pult im ganzen riesigen Klassenzimmer besetzt war. Dort saß ein junger Mann mit einem ländlichen Gesicht; ein Gesicht, das man auf der Wiese hinter dem Arsch eines Maultiers zu sehen erwartete. Das hellbraune Haar stand ihm stachelförmig vom Kopf ab. Seine Bauernhände lagen schwer vor ihm auf dem Schreibtisch. Er betrachtete Mort mit blassen, gebannten Augen.
    Ich kenne Sie, sagte Mort im Traum.
    Ganz recht, Pilger, sagte John Kintner mit seinem nuschelnden Südstaatenakzent. Du hast mich nur falsch zusammengesetzt. Und nun schreib weiter. Nicht fünfhundertmal. Fünftausendmal.
    Mort wollte sich umdrehen, rutschte aber mit dem Fuß ab und kippte plötzlich vornüber, schrie in die trockene, kreidehaltige Luft, und John Kintner lachte, und er …

 
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    … wachte auf dem Boden auf, hatte den Kopf fast unter dem schurkischen Kaffeetisch, umklammerte den Teppich und kreischte schrille, wimmernde Schreie.
    Er war in seinem Haus am See. Nicht in einem unheimlichen, zyklopenhaften Klassenzimmer, sondern am See … und im Osten zog nebelverhangen die Dämmerung auf.
    Mir geht es gut. Es war nur ein Traum, und mir geht es gut.
    Aber es ging ihm nicht gut. Denn es war nicht nur ein Traum gewesen. John Kintner war echt. Wie, um alles in der Welt, hatte er John Kintner vergessen können?
    Mort hatte in Bates das College besucht und kreatives Schreiben als Hauptfach gewählt. Später, als er vor Klassen angehender Schriftsteller sprach (eine Aufgabe, die er, soweit es ging, vermied), erzählte er ihnen, dass die Wahl dieses Hauptfachs wahrscheinlich der größte Fehler war, den ein Mann oder eine Frau machen konnte, wenn er oder sie mit Literatur ihren Lebensunterhalt verdienen wollte.
    »Suchen Sie sich einen Job im Postamt«, sagte er. »Bei Faulkner hat das funktioniert.« Worauf sie lachten. Sie hörten ihm gerne zu, und er vermutete, dass er sie einigermaßen gut unterhalten konnte. Das schien ziemlich wichtig zu sein, denn ob er oder sonst wer den Leuten wirklich beibringen konnte zu schreiben, war ziemlich fraglich. Trotzdem war er immer froh, wenn er am Ende einer Vorlesung, eines Kurses oder eines Workshops gehen konnte. Die Kids machten ihn nervös. Er vermutete, der Grund dafür war John Kintner.
    Hatte Kintner aus Mississippi gestammt? Mort glaubte es nicht, konnte sich jedoch nicht genau erinnern. Es musste aber irgendein Staat im tiefen Süden gewesen sein – Alabama, Louisiana, vielleicht auch das nördliche Florida. Er wusste es nicht mehr sicher. Die Zeit am Bates College war lang vorbei, und er hatte nie mehr an John Kintner gedacht, der eines Tages plötzlich verschwunden war – aus Gründen, die nur er selbst kannte.
    Das ist nicht wahr. Du hast letzte Nacht an ihn gedacht.
    Du meinst wohl, von ihm geträumt, korrigierte Mort sich schnell, aber die teuflische kleine Stimme in ihm wollte keine Ruhe geben.
    Nein, schon früher. Du hast an ihn gedacht, während du mit Skooter am Telefon gesprochen hast.
    Er wollte nicht daran denken. Er würde nicht daran denken. John Kintner gehörte der Vergangenheit an; John Kintner hatte nichts mit dem zu tun, was derzeit passierte. Er stand auf und ging im

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