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Langoliers

Titel: Langoliers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Arbeitszimmer.
    Mort blieb einen Augenblick stehen, wo er war, und sein Herzschlag hämmerte ihm in den Ohren, dann ging er mit ausgreifenden Zeichentrickschritten wie auf Zehenspitzen zum Ofen. Er nahm den Schürhaken vom Gestell und zuckte zusammen, als der Haken leicht gegen die Ascheschaufel stieß. Er nahm den Schürhaken und ging langsam wieder zu der geschlossenen Tür zurück, wobei er den Schürhaken hielt wie damals, ehe er ins Badezimmer gestürmt war. Er musste um das Magazin herumgehen, das er geworfen hatte.
    Er kam zur Tür und blieb davor stehen.
    »Shooter?«
    Keine Antwort.
    »Shooter, Sie sollten lieber aus eigener Kraft herauskommen! Wenn ich reinkommen und Sie holen muss, werden Sie nie wieder aus eigener Kraft irgendwo rauskommen!«
    Immer noch keine Antwort.
    Er blieb noch einen Augenblick stehen und stählte die Nerven (war aber nicht sicher, ob er die Nerven aufbringen würde), dann drehte er den Knauf. Er rammte die Tür mit der Schulter und platzte hinein, schrie, schwang den Schürhaken …
    Und das Zimmer war verlassen.
    Aber Shooter war tatsächlich hier gewesen. Ja. Der Monitor von Morts Texthäcksler lag auf dem Boden, der Bildschirm war ein zerschmettertes Glotzauge. Shooter hatte ihn getötet. Auf dem Schreibtisch, wo der Textcomputer gestanden hatte, stand eine alte Schreibmaschine Marke Royal. Die Stahloberfläche dieses Dinosauriers war stumpf und staubig. Ein Manuskript war auf die Tastatur gestellt. Shooters Manuskript, das er vor einer Million Jahren unter einem Stein auf der Veranda gelassen hatte.
    Es war ›Das heimliche Fenster, der heimliche Garten‹.
    Mort ließ den Schürhaken auf den Boden fallen. Er ging wie hypnotisiert zu der Schreibmaschine und hob das Manuskript auf. Er blätterte langsam die Seiten durch und verstand plötzlich, warum Mrs. Gavin so überzeugt gewesen war, dass es seins sein musste … so überzeugt, dass sie es aus dem Müll rettete. Vielleicht hatte sie es gar nicht bewusst gemerkt, aber ihre Augen hatten den ungleichmäßigen Schrifttyp erkannt. Warum auch nicht? Sie hatte jahrelang Manuskripte gesehen, die wie ›Das heimliche Fenster, der heimliche Garten‹ ausgesehen hatten. Der Textcomputer von Wang und der Laserdrucker System Five waren Neuerwerbungen. Den größten Teil seiner Schriftstellerlaufbahn überhatte er diese alte Royal benützt. Die Jahre hatten sie stark abgenutzt, und jetzt bot sie ein trauriges Bild – wenn man damit tippte, brachte sie Buchstaben hervor, die so schief wie die Zähne eines alten Mannes waren.
    Aber sie war selbstverständlich die ganze Zeit hier gewesen – hinten im Schrank seines Arbeitszimmers, hinter Stapeln alter Druckfahnen und Manuskripte … was die Lektoren ›Ladenhüter‹ nannten. Shooter musste sie gestohlen, sein Manuskript darauf getippt und sie dann wieder hereingestellt haben, während Mort auf der Post war. Klar. Das klang logisch, oder nicht?
    Nein, Mort. Das klingt nicht logisch. Möchtest du etwas machen, das wirklich logisch ist? Dann ruf die Polizei. Das wäre logisch. Ruf die Polizei und sag ihnen, sie sollen herkommen und dich einsperren. Sag ihnen, sie sollen schnell machen, bevor du noch mehr Schaden anrichten kannst. Sag ihnen, sie sollen es machen, bevor du noch mal jemanden umbringen kannst.
    Mort ließ die Seiten mit einem langen, wilden Aufschrei fallen, und sie flatterten träge rings um ihn herum zu Boden wie weiße Falter, während die ganze Wahrheit mit einemmal wie ein silberner Blitzstrahl in ihn hineinfuhr.

 
46
     
    Es gab keinen John Shooter.
    Es hatte nie einen gegeben.
    »Nein«, sagte Mort. Er ging wieder in dem großen Wohnzimmer auf und ab. Seine Kopfschmerzen kamen und gingen wie Wellen der Pein. »Nein, das akzeptiere ich nicht. Das akzeptiere ich überhaupt nicht. «
    Aber es spielte keine Rolle, ob er es akzeptierte oder ablehnte. Alle Teile des Puzzles waren da, und als er die alte Royal-Schreibmaschine gesehen hatte, hatten sie sich zusammengefügt, jetzt, fünfzehn Minuten später, fügten sie sich noch zusammen, und er schien keine Kraft zu haben, sie wieder auseinanderzuzwingen.
    Das Bild, das ihm immer wieder einfiel, war das des Tankwarts in Mechanic Falls, der ihm mit einem Schwamm die Windschutzscheibe gewaschen hatte. Ein Anblick, den er nie in seinem Leben zu sehen erwartet hätte. Später war er davon ausgegangen, der Junge hätte ihm diesen zusätzlichen Service geboten, weil er Mort erkannt hatte und Morts Bücher mochte. Das war vielleicht

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