Langweiler leben länger - über die wahren Ursachen eines langen Lebens
einer Sache verabschieden muss.
Nicht klammern! Die Kunst des Loslassen-Könnens
Beharrlichkeit ist prinzipiell lebensverlängernd. Aber sie ist auch eine Eigenschaft, die man sorgfältig dosieren muss. Denn in hoher Dosis kann sie genau das Gegenteil von Gesundheit und Lebensverlängerung bewirken. Dann wird aus der beständigen Hartnäckigkeit eine lähmende Halsstarrigkeit und aus dem konsequenten Dran-Bleiben das klammernde Nicht-Loslassen-Können, was das Leben nicht nur für den
Klammeraffen selbst, sondern auch für seine Umwelt unerträglich machen kann.
Der Buddhismus kennt eine wunderbare Legende zu diesem Thema. Sie handelt von den beiden Mönchen Tansan und Ekido, die auf einer ihrer Wanderschaften an einen Fluss kommen. Am Ufer steht ein schönes Mädchen. Es will offensichtlich auch über den Fluss, zaudert aber, hat Angst. Ekido tut so, als würde er die Verzweifelte gar nicht sehen, denn die Mönchsregeln untersagen ihm jeglichen Kontakt zum anderen Geschlecht. Tansan jedoch nimmt das Mädchen wortlos in seine Arme und trägt es über den Fluss. Danach trennen sich ihre Wege. Die Mönche schreiten weiter ins Landesinnere, einer neben dem anderen – und keiner spricht ein Wort. Mehrere Stunden lang! Bis schließlich Ekido das Schweigen nicht mehr aushält und zur Attacke gegen Tansan ausholt. »Warum hast du das getan?«, fragt er erbost. »Du hast gegen die Regeln verstoßen und das Mädchen berührt!« Doch Tansan lässt sich nicht provozieren. Ganz ruhig entgegnet er: »Ich habe das Mädchen hinter mir gelassen. Trägst du sie etwa immer noch?«
Auf der einen Seite die Regeln, die es einzuhalten gilt, denn sonst macht es ja keinen Sinn, dass es sie gibt. Auf der anderen Seite das Brechen dieser Regeln, weil der konkrete Bedarfsfall es erfordert. Das Eine ist notwendige Beharrlichkeit, das Andere ebenso notwendige Lockerheit. Das Eine bereichert und verlängert unser Leben, weil es uns nicht so schnell aufgeben und bei den wichtigen Sachen durchhalten lässt; das Andere bereichert und verlängert unser Leben, weil wir im richtigen Moment loslassen und dadurch Kräfte für neue, sinnvollere Projekte sparen. Ekido ist stundenlang neben seinem Mönchsfreund hergestapft, in einer Mischung aus Wut und Unverständnis, die bekanntermaßen nicht gerade für Seelenfrieden sorgt. Hätte er das Thema direkt angesprochen oder es sinnvollerweise einfach frühzeitig zu den Akten gelegt, wäre es ihm viel besser gegangen.
Mittlerweile belegen medizinische und psychologische Studien, dass ein verkrampftes Festhalten nicht nur dafür sorgt, dass wir uns schlecht fühlen. Es ist auch tatsächlich schlecht für Gesundheit und Lebenserwartung. Die amerikanischen Forscher Gregory Miller und Carsten Wrosch befragten 90 Teenager nach ihren Lebenszielen und wie sie damit umgingen, wenn sich diese als unerreichbar herausstellten. Außerdem erhoben sie zu Beginn der Studie und ein Jahr später die Blutwerte für das C-reaktive Protein CRP, das als ein Marker für Entzündungen im Körper gilt. Es zeigte sich: Wer sich nur schwer von seinen unerreichbaren Zielen lossagen konnte, hatte am Ende einen deutlich erhöhten CRP-Spiegel im Blut – und CRP-Werte jenseits des Durchschnitts sind ein deutlicher Hinweis auf ein hohes Risiko für Diabetes, Arteriosklerose, Infarkte und Rheuma.
Eine deutsche Forschergruppe untersuchte bei einer Gruppe von gesunden und altersdepressiven Senioren, wie diese auf verpasste Chancen reagieren. Dazu ließ man sie an einem Glücksspiel teilnehmen und erfasste währenddessen ihre Hirnaktivitäten per Kernspintomographie. Entscheidend war, dass man ihnen nach einem Gewinn mitteilte, wie viel mehr sie hätten gewinnen können, hätten sie mehr riskiert – und die Hirnreaktionen darauf wurden natürlich auch aufgezeichnet.
Die Ergebnisse waren eindeutig. Den gesunden Senioren machte es nichts, wenn man ihnen nach ihrem Gewinn mitteilte, dass sie mehr hätten gewinnen können, ihr neuronales Belohnungszentrum bleib weiterhin in freudiger Erregung. Sie reagierten also nach dem Muster: »Was interessiert mich das Verpasste, wenn es das Glück schon so gut mit mir gemeint hat.« Bei den altersdepressiven Probanden hingegen wurde es im Belohnungszentrum unter der Schädeldecke wesentlich ruhiger, ihre Freude über den Gewinn stellte sich praktisch auf Null, wenn man ihnen von ihrer angeblich verpassten Chance berichtete. Die Stimmung im fortgeschrittenen Alter steht
und fällt also mit der
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