Langweiler leben länger - über die wahren Ursachen eines langen Lebens
wann ist es sinnvoller, sie zu lösen, anstatt hartnäckig an ihr festzuhalten? Schon dann, wenn man sich kaum noch etwas zu sagen hat, oder erst dann, wenn die Streitigkeiten laut und erniedrigend werden? Oder wann sollte man seinen Job kündigen und sich auf neue berufliche Perspektiven einlassen? Schon dann, wenn man merkt, dass die Karriereleitern eher ohne uns besetzt werden, oder erst, wenn man in Grund und Boden gemobbt wird? Man könnte auch vor dem Hintergrund unseres konkreten Themas fragen: Wann hat Beharrlichkeit ein Stadium erreicht, in dem man auf Loslassen umschalten sollte, weil sonst die Gesundheit ramponiert und die Lebenserwartung verkürzt wird?
Die Antwort darauf kann nicht mit allgemeiner Gültigkeit für alle Menschen gegeben werden. Denn zu unterschiedlich sind die Individuen in dem Maß ihrer Last, das sie ertragen können, auf zu unterschiedlichen Messlatten liegen die Grenzen für das, was ihnen gerade noch gut tut oder sie bereits gesundheitlich schwächt. Aber es gibt einige Indizien und Hinweise, wann möglicherweise die Zeit für ein Loslassen und eine Neuorientierung gekommen sein könnte.
Stets wiederkehrende Traummuster etwa sind ein deutlicher Hinweis darauf, dass in unserem Leben etwas nicht stimmt. Typische Trauminhalte für den Wunsch nach radikaler Lebensänderung sind das Laufen auf der Stelle und der Fall ins Bodenlose. Neben der Sprache des Schlafes sollte man auch die Sprache des Körpers nicht unterschätzen, denn ein unzufriedener Geist sendet Signale in Form von Muskelverspannungen. Typisch sind Schmerzen in der Wade sowie im
Gesäß und im rückwärtigen Oberschenkel – als Zeichen, dass der Körper gewissermaßen auf dem Sprung steht und Veränderung will. Auch ständige Nackenschmerzen, die möglicherweise sogar zum Kopf hinaufziehen, sind ein verlässliches Zeichen dafür, dass mit unserer aktuellen Situation etwas nicht stimmt. Denn was sollte die Nackenmuskeln mehr zum Verspannen bringen als die Angst vor Nackenschlägen?
Anhaltende oder sogar zunehmende Konflikte, die immer nach demselben Muster ablaufen, sind ebenfalls Hinweise darauf, dass in unserem Leben etwas festgefahren ist. Wenn man sich mit dem Lebenspartner oder dem Bürokollegen immer in gleicher Weise über die gleichen Dinge in die Haare gerät, ist es vermutlich Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen. Oder man hört eine Unterhaltung am Nebentisch, und denkt: Hoppla, die reden doch von mir! Oder es geistern immer wieder bestimmte Redensarten (wie »Wer zu spät kommt, den straft das Leben«) oder alberne Schlagertexte (wie »Siebzehn Jahr, blondes Haar«) durch den Kopf. Auch dies sind Zeichen dafür, dass man sich auf dem falschen Wege wähnt und von etwas lösen will. Denn warum sollte sich sonst das Gehirn mit verpassten Chancen und dem Verklären der Vergangenheit beschäftigen?
Auch die »komischen Zufälle« kann man als Wink darauf verstehen, dass es uns nach Veränderung drängt. Wie etwa das Buch, das wir – eigentlich ziellos – aus dem Bücherregal fischen und das wie die Faust aufs Auge auf das passt, was wir eigentlich wollen. Oder wir denken an einen alten Arbeitskollegen von früher, und im gleichen Moment ruft er uns an. Der Psychoanalytiker Carl Gustav Jung hat das unvermutete und erklärliche Zusammentreffen von genau passenden, schicksalhaften Ereignissen als »Synchronizitäten« bezeichnet. Sie sind wie Bojen auf unwirtlicher See, die der unzufriedenen Seele den Weg zu glücklicheren Gefilden zeigen sollen.
Offenbar gibt es also durchaus genug Symptome, die auf einen Änderungsbedarf und ein Herunterschalten des beharrlichen
Dranbleibens hindeuten. Um sie sehen zu können, bedarf es freilich einer gewissen Achtsamkeit und Sorge.
Sorge Dich – und lebe!
Keine Frage: Achtsamkeit hat derzeit ein ziemlich gutes Image. Es gibt kaum eine psychologische Fachzeitschrift, die nicht regelmäßig einen Artikel dazu veröffentlicht. Einige Wissenschaftler bezeichnen sie – nach den großen Trends der lerntheoretischen und kognitiven Psycho-Modelle – sogar schon als »dritte Welle der Verhaltenstherapie«. Denn Achtsamkeit gilt, wie es die Zeitschrift Psychologie heute in ihrer Titelgeschichte vom Mai 2010 treffend formuliert, als »das Mittel gegen Alltagsstress«. Der Grund: Sie ist das Gegengift gegen die Zerstreuung unserer Zeit, indem sie unsere geistigen Kräfte bündelt und uns dadurch vor Erschöpfung schützt. Statt atemlos über den Bahnsteig zu hetzen und dabei den
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