Langweiler leben länger - über die wahren Ursachen eines langen Lebens
Fähigkeit, sich über positive Erlebnisse wirklich zu freuen, ohne irgendwelchen verpassten Möglichkeiten nachzutrauern. »Ein gelassener Umgang mit Chancen, die man im Laufe seines Lebens verpasst hat, spielt eine entscheidende Rolle für die Lebenszufriedenheit im Alter«, folgert Studienleiterin Stefanie Brassen vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Oder anders ausgedrückt: Es sind weniger die wahrgenommenen Chancen, die über unsere Lebenszufriedenheit im Alter entscheiden, als vielmehr unsere Fähigkeit, die verpassten Chancen hinter sich zu lassen. Die Forscher gaben daher ihrer Studie einen Titel, der gleichzeitig eine Aufforderung an alle Senioren sein soll: »Don’t look back in anger!« – »Blicke nicht im Zorn zurück!«
Die zitierten Studien geben bereits einen Hinweis darauf, dass uns das Loslassen – und hier zeigt sich wieder ein Zusammenhang mit einer anderen Charaktereigenschaft, nämlich der Resilienz – besonders im Anschluss von Niederlagen und Verlusten kaum gelingen will. Psychologen beschäftigen sich erst in jüngerer Zeit mit diesem Problem, weil sie sich die Jahre zuvor lieber um die Sieger und ihre charakterlichen Voraussetzungen gekümmert haben. Doch dabei wuchs allmählich die Erkenntnis, dass zum Siegen auch der richtige Umgang mit Niederlagen gehört, und deswegen wird dieser jetzt auch zum Thema der Forschung.
Zwei Wissenschaftler, die besonders intensiv in diese Richtung gearbeitet haben, sind die amerikanischen Psychologen Charles Carver und Michael Scheier. In ihren Studien haben sie viele Menschen getroffen, denen es nicht gelungen ist, sich von verpatzten Projekten zu lösen. Sie kramen unablässig in der Vergangenheit, martern ihr Hirn mit Fragen wie: »Wer hat mir das eingebrockt?«, »Was habe ich damals falsch gemacht?« , oder »Was wäre passiert, wenn ich damals anders reagiert hätte?«, obwohl diese Fragen niemals beantwortet werden können. Einer weiteren Gruppe innerhalb der Probanden gelingt es zwar, sich von einem gescheiterten Projekt
zu verabschieden, doch sie können danach kein neues für sich finden, als hätte ihnen der Misserfolg aus der Vergangenheit das Rückgrat für die Zukunft gebrochen. Beide Alternativen enden freilich in der Sackgasse: die eine dadurch, dass die Kräfte weiterhin an der Vergangenheit gekettet bleiben, die andere dadurch, dass keine Perspektiven für die Zukunft bestehen.
Es geht aber auch ganz anders. So trafen Carver und Scheier eine Frau, die sich aktiv in einer Umweltschutzbewegung engagierte, dann aber plötzlich krank wurde und somit nicht mehr an konkreten Aktionen teilnehmen konnte. Sie bemühte sich daraufhin, Geld für die Organisation zusammen zu trommeln – und wurde sehr erfolgreich dabei. »Wenn ein Weg verschüttet ist, wird ein anderer sichtbar und wichtig. Indem man ein unerreichbares Ziel aufgibt, gleichzeitig aber ein anderes als Alternative gefunden wird, bleibt der Mensch in der Vorwärtsbewegung. Das Leben hat weiterhin einen Sinn«, fassen Carver und Scheier ihre Forschungsergebnisse zusammen.
Dass neue Ziele das Leben im positiven Sinn vorwärts treiben, belegt eine amerikanische Studie an den Eltern von krebskranken Kindern. Gelang es Mutter und Vater, ihre ursprünglichen Lebenspläne ad acta zu legen und beispielsweise ihre Karrierepläne zurückzuschrauben, litten sie deutlich weniger an Frust und Depressionen, als wenn sie versuchten, trotz der Beanspruchung durch die extreme Krankheitssituation ihres Kindes daran festzuhalten. Von Bedeutung war aber auch, dass die Eltern nunmehr nicht die einzige Aufgabe darin sahen, für ihr Kind da zu sein, sondern auch Freiräume für sich selbst, für ihre Hobbys und Vorlieben geschaffen hatten. Was deutlich macht: Man muss sich im Fall eines Scheiterns neu definieren – doch diese Definition darf nicht in einer Opferrolle ausmünden. Auf solche Weise eröffnen sich dem Verlierer neue Daseinsperspektiven, er entdeckt, dass er auch jemand anders sein kann. Und so erfährt die Niederlage am Ende tatsächlich eine positive existenzielle Dimension.
Das Problem ist jedoch, dass es nicht immer so klar auf der Hand liegt wie bei der Krankheit des Kindes oder dem Tod des Partners, dass man loslassen muss, um wieder zum eigenen Leben zurückzufinden. Es gibt viele Situationen, die eine Entscheidung zum Weiter-so oder Jetzt-aber-Schluss-damit erfordern, ohne dass es den Betroffenen unbedingt klar wird. Wann beispielsweise muss man eine Ehe beenden,
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