Langweiler leben länger - über die wahren Ursachen eines langen Lebens
schaffen können, wenn sie sich damals nicht um die Familie hätten kümmern müssen.
Auch Howard Friedmann kommt in der Auswertung seiner »Termiten-Daten« zu dem Schluss, dass es sich bei der These vom generell schädlichen und lebensverkürzenden Effekt der Sorgen lediglich »um einen hartnäckigen Mythos« handle. Vielmehr konnte er nachweisen, dass es gerade die fröhlichen, unbeschwerten Kinder sind, die später an Unfällen, Suizid oder Mord versterben und dadurch nur eine geringe Lebenserwartung haben. Der Grund: Sie nehmen ihre Sorgenfreiheit mit hinüber ins Erwachsenenalter, wo sie dann nach dem Motto »Was kann mir schon passieren« ein riskantes Verhalten an den Tag legen und beispielsweise rauchen, viel Alkohol trinken und gefährliche Hobbys und Bekanntschaften pflegen. Was hingegen die Sorgen selbst mit ihrem Besitzer anrichten, so der amerikanische Forscher, »hängt ab von ihrer Dosis, und davon, wie man mit den Sorgen umgeht«.
Diese Einschätzung teilt auch Psychiater und Angstforscher Beng Yeong vom General Hospital in Singapur: »Sorgen an sich sind nicht pathologisch. Für viele Menschen sind sie ein Versuch, künftige Gefahren voraussehen zu können; oder ein Versuch, die Kontrolle über Geschehnisse zu gewinnen, die außer Kontrolle geraten und zu einer Gefahr werden können.« Problematisch würden Sorgen erst, wenn sie selbst außer Kontrolle geraten und eine zwanghafte Eigendynamik entwickeln, und dies hänge weniger von der objektiven Sorgenmenge als von der subjektiven Sorgenempfindung ab. »Das ist wie bei einer Allergie«, erläutert Yeong. »Bei Heuschnupfenpatienten reichen auch schon geringste Pollenmengen, um eine heftige und potenziell gefährliche Reaktion zu erzeugen. Und so gibt es auch besonders sensible Menschen, für die schon die Sorge um eine Kleinigkeit zu einer schweren Belastung werden kann. Ihr wesentlicher Charakterzug besteht in der Regel darin, dass sie schlecht mit den Unsicherheiten in ihrem Leben klarkommen.«
Es ist also letztlich der Umgang mit den Unsicherheiten des Lebens, der darüber entscheidet, ob Sorgen einen Menschen
lähmen oder ihn mobilisieren. Wenn der selbstständige Unternehmer merkt, dass ihm ein Kunde nach dem anderen abspringt, beschert ihm das eine Unsicherheit über seine Zukunft, die ihn einerseits verzweifeln lassen und lethargisch machen, andererseits aber auch dazu anregen kann, sich verstärkt um neue Kunden zu bemühen und neue Strategien zu entwickeln, um sich im Markt gegen seine Konkurrenten zu behaupten. Das Eine ist trost-, dafür aber auch risikolos, während das Andere riskant, dafür aber auch dynamisch ist. Wenn ein Ehepaar auseinander geht, werden sich die Partner ebenfalls über künftige Unsicherheiten sorgen, ob sie etwa bis auf weiteres allein und einsam sein oder finanzielle Probleme bekommen werden. Sie können dann in ihrem Kummer erstarren, lamentieren und die sichere Trübsal wählen oder sich mobilisieren und daran gehen, die unsichere Zukunft zu gestalten, sich um einen lukrativen Job bewerben oder bei einer Internet-Partnerbörse anmelden. Es hängt wesentlich davon ab, inwieweit wir den unsicheren, aber perspektivreichen Weg gehen wollen oder doch lieber am trostlosen, dafür aber sicheren Standort bleiben wollen, ob uns eine Sorge lähmt oder mobilisiert.
Welche der beiden Alternativen wir wählen, das hängt wiederum stark von unserem Charakter ab. Ob wir eher ängstlich oder mutig sind, ob wir stets die Kontrolle haben müssen oder auch einfach mal den Dingen ihren Lauf lassen können. Bei diesen Faktoren spielt aber noch ein weiteres Persönlichkeitsmerkmal eine Rolle, das gern vernachlässigt und ignoriert wird, weil es zu langweilig ist, zu wenig spektakulär und geradezu spießerhaft: die Zuverlässigkeit.
Immer da: Zuverlässige Menschen enttäuschen nur den Sensenmann
Marie ist in Therapie. Wegen einer dependenten Persönlichkeitsstörung, oder wie man im internationalen Psychologen-Jargon sagt: Dependent Personality Disorder (DPD). Den meisten dürfte der Begriff unbekannt sein, als Psycho-Laie ist man schon froh, wenn man Schizophrenie und Depression richtig schreiben kann. Doch DPD ist Mitglied im ICD-10, dem internationalen Klassifikationssystem für Krankheiten. Es ist also keine exotische »Macke«, über die man hinwegsehen könnte, sondern ein ernsthaftes Gesundheitsproblem, um das sich Therapeuten und Ärzte kümmern. Anders ausgedrückt: Wer an DPD leidet, wird als Patient ernst
Weitere Kostenlose Bücher