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Langweiler leben länger - über die wahren Ursachen eines langen Lebens

Langweiler leben länger - über die wahren Ursachen eines langen Lebens

Titel: Langweiler leben länger - über die wahren Ursachen eines langen Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gütersloher Verlagshaus
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    In der Laborsituation einer meditativen Sitzung mag es funktionieren, dass man die Aufmerksamkeit auf etwas Bedeutungsloses und Triviales wie den Atem fokussiert. Doch im Alltag gilt vielmehr der umgekehrte Satz: Je größer die Gefahr, umso wacher muss ich sein. Das ist einfach ein Gesetz des Lebens, das nicht nur den Menschen, sondern alle dynamischen Lebewesen erfolgreich den Kampf ums Dasein bestehen lässt. Würde die Antilope dem anstürmenden Geparden im entspannten Yoga-Trab begegnen und die Fliege
in Anbetracht der herunterfallenden Klatsche ein selbstvergessenes »Om« vor sich hersummen, wären sie schon längst ausgestorben.
    Sorge und Achtsamkeit schließen sich also nicht aus, sie bedingen einander. So jedenfalls verhält es sich im Alltag, fernab tibetischer Klöster und buddhistischer Reflexionen, deren Wert damit keineswegs bestritten werden soll. Aber sofern das Gehirn nicht unter den Bedingungen eines weltentrückten Labors, sondern im »täglichen Wahnsinn« funktionieren muss, kann es sich gar nicht erlauben, seine Aufmerksamkeit auf Trivialitäten zu fokussieren, denn damit würde es nur Energie und Ressourcen verschwenden. In alltäglichen Situationen bringt es also nichts, Achtsamkeit und Sorge voneinander zu trennen, denn die erste kommt nur, wenn die zweite schon da ist. Weswegen sollte man daher die erste mit einem positiven und die zweite mit einem negativen Image ausstatten?
    Es verwundert daher nicht, dass die wissenschaftliche Studienlage durchaus Belege für einen motivierenden, vitalisierenden und dadurch letzten Endes lebensverlängernden Effekt der Sorge liefert. So sprach Graham Davey von der University of Sussex schon 1994 vom Janusgesicht der Sorgen: »Sie können einerseits lähmen, andererseits aber auch erst dazu führen, dass wir aktiv werden.« Denn warum lernen wir für eine Prüfung, wenn nicht aus der Sorge, dass wir ohne Vorbereitung durchfallen würden? Warum gehen wir regelmäßig zur ärztlichen Vorsorge, wenn nicht aus Sorge um unsere Gesundheit? Und warum zahlen wir freiwillig in eine private Rentenversicherung ein, wenn wir uns nicht Sorgen um unser Auskommen im Alter machen würden? In einer Studie aus dem Jahr 2007 ermittelte man zunächst mit Hilfe eines Interviewbogens das Besorgnisprofil von Rauchern und verglich es später mit ihren Aktivitäten, dem Nikotin abzuschwören. Es zeigte sich, dass besorgte Raucher viel energischer und schließlich auch erfolgreicher an ihren Nikotinentzug herangingen. Was ja eigentlich auch schon so einleuchtend klingt,
dass man es nicht unbedingt empirisch hätte überprüfen müssen. Denn was sollte einen Raucher stärker zum Nikotinentzug drängen als die Sorge um seine eigene Gesundheit oder die Gesundheit seiner Familie? Wenn eine schwangere Frau mit dem Rauchen aufhört, macht sie das nicht, weil es ihr dann unmittelbar besser geht (denn Nikotinentzug macht eine Schwangerschaft nicht unbedingt leichter), sondern weil sie sich Sorgen um die Gesundheit ihres Kindes macht.
    Christine Calmes von der University of Buffalo fand heraus, dass man sich die meisten Sorgen nicht etwa in einkommensschwachen, sondern in einkommensstarken Schichten macht. Und zwar nicht deshalb, weil man im oberen Einkommenssegment mehr Besitz und Geld zu verlieren hätte, sondern weil man dort höhere Ansprüche an die Perfektion stellt. Genau aus diesem Grund gehen einkommensstarke Menschen öfter zu ärztlichen Routineuntersuchungen, achten mehr auf Ernährung und Bewegung: weil es ihnen wichtig ist, dass ihr Körper im Alltag gut funktioniert. Aber auch im Berufsleben graben sich bei ihnen wegen ihres Wunsches nach Perfektion öfter die Sorgenfalten in die Stirn. »Erfolgreiche Menschen grübeln mehr, weil ihnen mehr Fehler auffallen und sie nicht bereit sind, diese hinzunehmen«, erklärt Calmes. Aber es seien eben auch genau diese Eigenschaften mitverantwortlich dafür, dass diese Menschen überhaupt erfolgreich werden, denn sie geben sich nicht mit dem Mittelmaß zufrieden – sie wollen die Perfektion.
    Die oft vertretene Ansicht, dass man für den Aufstieg auf der Karriereleiter die Sorgen hinter sich lassen sollte, ist nichts als eine Mär, die vermutlich von denjenigen in die Welt gesetzt wurde, die ihr eigenes Versagen schön reden wollen, indem sie es aus einer Moral der Sorge ableiten. In diese Kategorie gehören beispielsweise die typischen Kneipenmonologe, in denen frustrierte Vieltrinker davon berichten, was sie alles hätten

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