Langweiler leben länger - über die wahren Ursachen eines langen Lebens
davon, dass im Zoo regelmäßig und zuverlässig das Futter kredenzt wird, während in freier Wildbahn hart dafür gearbeitet werden muss und der Aufwand nicht immer belohnt wird.
All das klingt logisch, und doch gilt hier abermals: Es geht auch anders herum. Britische Forscher haben die Daten von 4500 Elefanten untersucht und dabei festgestellt, dass diese in Gefangenschaft deutlich kürzer leben. Das Sterbealter asiatischer Zooelefanten etwa liegt bei durchschnittlich 19 Jahren, während ihre Pendants in Freiheit auf fast 42 Jahre kommen. Die frei lebenden Dickhäuter-Weibchen im afrikanischen Amboseli-Nationalpark werden mit durchschnittlich 56 Jahren sogar fast drei Mal so alt wie ihre asiatischen Artgenossen in Gefangenschaft. »Würde man nicht ständig Jungtiere in freier Wildbahn einfangen und den Zoos zuführen, würden die Elefanten dort über kurz oder lang aussterben«, betont Studienleiterin Ros Clubb in der Fachzeitschrift Science .
Die Ursachen für das frühe Ableben der Zooelefanten sind vielschichtig, liegen aber auch auf der Hand. So haben die vier bis sechs Tonnen schweren Dickhäuter in freier Wildbahn ohnehin keine Feinde, sodass der Zoo-Effekt »Lebensverlängerung durch Schutz vor Feinden« wegfällt. Von noch größerer Bedeutung ist jedoch, dass die Tiere im Zoo zu Übergewicht und einem schwachen Immunsystem neigen. Und zu Aggressionen: Kein anderes Tier führt so oft den Tod eines Zoopflegers herbei wie der Elefant! All das sind deutliche Hinweise darauf, dass die hochintelligenten Tiere mit ihrer Situation als Gefangener nicht zurecht kommen und sie als Stress erleben – und genau das verkürzt eben auch ihr Leben.
Es geht also weniger um das Eingesperrtsein an sich, als um das Gefühl des Eingesperrtseins. Harriet hatte in dieser Hinsicht keine Probleme; deswegen wurde sie vermutlich so
alt. Ihre Brüder – möglicherweise waren es aber auch Schwestern! – Dick und Tom waren da anders gestrickt. Der Eine unternahm anfangs immer wieder Ausbruchsversuche, der Andere verweigerte mitunter für längere Zeit das Fressen. Dick starb bereits in seinen Fünfzigern, Tom verschied 1949, also 57 Jahre vor seiner berühmten Schwester. Was jedoch kein Argument dafür sein soll, dass man als Mensch bereitwillig eine Gefangenschaft über sich ergehen lassen sollte, wenn man steinalt werden will. Aber das Beispiel von Harriet und ihren Geschwistern sowie den traurigen Zooelefanten zeigt, dass die Existenz fester Vorgaben und Regelmäßigkeiten nicht ausreicht, um ein Leben zu verlängern. Man muss sie auch akzeptieren und sie nicht als Freiheitsberaubung empfinden, sondern sie, um einen berühmten Terminus des Philosophen Leibniz zu gebrauchen, »für die beste aller möglichen Welten« halten. Nicht allein die Struktur gibt den Halt, sondern auch ihre Akzeptanz – darin unterscheidet sich die Psychologie von der Physik.
2. Zwischen Platon und Mozart: Lang- und Kurzlebigkeit in der Kulturgeschichte
Auch die Kulturgeschichte des Menschen bedarf eines näheren Blicks in die Details und Hintergründe, um aus ihr in punkto Kurz- und Langlebigkeit einen echten Trend herauslesen zu können. Was einerseits an der gewaltigen Datenflut aus mehreren tausend Jahren sowie an ihrer unterschiedlichen Dichte liegt – über Diogenes und Thales besitzen wir heute einfach weniger Daten als zu Winston Churchill und Michael Jackson. Andererseits aber auch daran, dass nicht wenige der weltgeschichtlichen Größen durch Gewalt und Unfälle zu Tode kamen, was ja in unseren Betrachtungen, die sich um die »natürliche« Lebenserwartung jenseits von spektakulären Todesursachen wie Krieg, Mord und Totschlag bewegen, keine Rolle spielen soll. So wäre Sokrates – wegen seiner Gelassenheit, aber auch wegen seiner Ehefrau Xanthippe, die ihm den Rücken zum brotlosen Philosophieren frei hielt – vermutlich zum steinalten Greis geworden, hätte man ihn nicht per Schierlingsbecher hingerichtet. Dem Kirchenkritiker Giordano Bruno hingegen wären wohl selbst ohne Scheiterhaufen nur noch ein paar Jahre vergönnt gewesen, weil sein Leben bis dahin zu unstet und kraftraubend verlaufen war. Allerdings ist das letzten Endes nur Spekulation, weswegen wir solche Fälle unberücksichtigt lassen.
Doch wie verfährt man mit Krankheiten, wenn man die Langlebigkeit in der Kulturgeschichte betrachtet? Soll man sie mit einbeziehen oder wie Kriege und Morde außen vor lassen? Dies hängt vom konkreten Einzelfall ab. Wenn Marc Aurel
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