Langweiler leben länger - über die wahren Ursachen eines langen Lebens
täglicher Maloche kaputt schuften zu müssen. Man denke nur an Thales, Platon, Leibniz, Voltaire, Schelling, Schopenhauer, Russell und Heidegger, die mit fast überheblicher Gelassenheit überdurchschnittlich alt wurden. Doch es gibt mindestens ebenso viele Vertreter der anderen, kurzlebigen Richtung. Heraklit, Aristoteles, Hegel, Marx und Wittgenstein schafften gerade noch die 60-Jahr-Grenze, Descartes, Fichte und Nietzsche nicht einmal die. Besonders hart traf es Kierkegaard (starb mit 42) und Spinoza (44), die bereits in einem Alter dahin gerafft wurden, das man heute allenfalls als Beginn der Midlife-Crisis durchgehen lassen würde.
Vergleicht man die Biografien der lang- und kurzlebigen Philosophen, so fällt auf, dass sie sich in einem wesentlichen Punkt unterscheiden: nämlich dem Chaosfaktor. Wobei die Lebenserwartung umgekehrt proportional ansteigt mit dem Grad des Chaos. Kant und Heidegger führten ein beschauliches und strukturiertes Professorenleben, Schopenhauer spielte Flöte und ging täglich mit seinem Hund spazieren. Thales galt unter seinen griechischen Landsleuten als Sonderling, dem nichts und niemand etwas anhaben konnte. Selbst seine Mutter nicht. Als ihr Sohn noch in den Zwanzigern war, drängte sie ihn zur Heirat, doch der antwortete nur: »Noch ist nicht die Zeit dazu.« Als sie ihn einige Jahre später wieder danach fragte, erklärte er ebenso knapp: »Jetzt ist die Zeit dazu vorüber.« Auf diese Weise blieb Thales zwar Junggeselle und ohne Kinder, wurde aber 78 Jahre alt, was für damalige Verhältnisse geradezu sensationell war.
Je weiter man jedoch auf der Lebenserwartungsskala der Philosophen nach unten geht, desto größer wird das Chaos. Nietzsche etwa war ein unsteter, fast lebensuntüchtiger Wanderer und Frührentner, Kierkegaard kam bis zu seinem frühen Ableben nicht mit der Trennung von seiner Verlobten zurecht, obwohl er sie selbst eingeleitet hatte. Der körperlich ohnehin schwächliche Spinoza hielt es wie Schiller: Er legte sich mit den Mächtigen an und schuftete sich zu Tode.
Descartes hielt sich hingegen bewusst den Alltag vom Leib und verbrachte seine Zeit überwiegend im Bett, was ihm einerseits die Muße zum Denken verschaffte, ihn andererseits aber auch körperlich so verweichlichte, dass ihn schon kleinere Infekte umwerfen konnten. Er starb im Alter von 53 Jahren an einer Lungenentzündung, die er wohl bei entsprechender körperlicher Fitness gar nicht bekommen hätte.
Die großen Poeten, Maler und Musiker der Geschichte zeigen ebenfalls einen deutlichen Trend zur Kurzlebigkeit durch Chaos, das die betreffenden Vertreter als Daseinsform bevorzugten. Unter den Schriftstellern führten Kafka, Orwell,
Balzac und Tucholsky ein gleichsam intensives wie kurzes Leben in labilen Verhältnissen, während sich Thomas Mann für ein, wie er es selbst nannte, »geordnetes Leben« mit seiner Ehefrau Katia entschied und erst mit 80 Jahren verstarb. Hermann Hesse übte sich zwar anfangs als »Steppenwolf«, doch später war er froh, diesem Zustand entkommen zu sein, »in dem es keine Ziele, keine Bestrebungen, keine Pflichten« gab. Er wurde, obschon leukämiekrank, 85 Jahre alt.
Wie bedeutsam feste Alltagsstrukturen für die Lebenserwartung sind, das zeigen auch die beiden »Olympier« der deutschen Dichtkunst. Während Schiller sich in der Arbeit erschöpfte und seinen von Krankheiten ausgezehrten Körper überforderte, ließ Goethe in Weimar den jugendlich-stürmischen Drang hinter sich, um zu einem klar strukturierten Alltag zu finden. Er forderte von sich selbst »täglich mehr Ordnung, Bestimmtheit und Konsequenz«, und das schaffte er auch. Morgens stand er noch vor sechs Uhr auf, um dann nach einem Tässchen Kaffee sofort mit dem Schreiben loszulegen. Um zehn Uhr gab es eine kurze Frühstückspause, danach wurde weiter geschrieben bis zum Mittag. Der Nachmittag war Geselligkeiten, Familie und Gartenarbeit vorbehalten, abends um neun ging es ins Bett, um dort noch eine Weile zu lesen. Wobei sich hier der Dichter auch mal den einen oder anderen Exzess leistete, indem er bis nach Mitternacht über einem Buch kauerte – doch das wird wohl sein Leben kaum verkürzt haben. Goethe starb im Alter von 82 Jahren an einem Herzinfarkt.
»Live fast, die young«
In Kunst und Musik dominieren traditionsgemäß die eruptiven, impulsiven und unberechenbaren Charaktere, weswegen hier die Lebenserwartung überdurchschnittlich kurz ist.
Mit Gauguin, Dürer, Beethoven und Mozart seien
Weitere Kostenlose Bücher