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Langweiler leben länger - über die wahren Ursachen eines langen Lebens

Langweiler leben länger - über die wahren Ursachen eines langen Lebens

Titel: Langweiler leben länger - über die wahren Ursachen eines langen Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gütersloher Verlagshaus
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wohlmeinender Freunde kaufte ich Bücher zum Thema Glücklichsein. Ich bemühte mich, meinen chronisch finsteren Blick in ein breites Lächeln zu verwandeln. Ich versuchte, aktiver zu werden, mein düsteres Haus und die tristen Bücher zu verlassen und an der Welt sinnvoller Action teilzuhaben. Ich fing an zu joggen, (...) gewöhnte mir an, so oft wie möglich ›toll‹ und ›super‹ zu sagen, (...) begann, Salat zu essen (...) und besuchte Yoga-Kurse. (...) Ich habe all das wieder aufgegeben, wieder damit angefangen und es dann noch einmal aufgegeben. Momentan beabsichtige ich nicht, noch einmal anzufangen. Die Straße zur Hölle ist mit erfolg- und glückverheißenden Plänen gepflastert.«
    In einem Interview gab Wilson einmal zu, dass ihn sein Bemühen um das Glücklich-Werden erschöpft hätte, am Ende
hätte er sich »einfach nur alt« gefühlt. Als er noch in seiner dunklen Gelehrtenkammer saß und sich jeden Tag unablässig in seiner Forschungsarbeit vergrub, wurden zwar seine Haut immer blasser und seine Augen immer schwächer, aber eigentlich ging es ihm in seinem einsamen, dafür aber disziplinierten und strukturierten Bücherwurmdasein ganz gut. Wenn er sich einmal nicht wohl fühlte, brachte er diese Phase der Melancholie mit dem Wissen hinter sich, dass sie schon irgendwann wieder aufhören würde. Als er jedoch damit begann, unbedingt glücklich sein zu wollen, verleugnete er diese Phasen und bemühte sich stattdessen um ein durchgehendes Fröhlichsein, das gar nicht seinen natürlichen Stimmungsschwankungen entsprach. Mit der Folge, dass er sich gleich doppelt ausgehöhlt fühlte: einerseits durch die ständigen Bemühungen ums Glücklichsein, und andererseits dadurch, dass er sich selbst durch die Unterdrückung seiner Melancholie einer Stimmung beraubte, in die sich Körper und Geist hin und wieder und natürlicherweise zurückziehen, um aufzutanken. »Die Melancholie ist ein essenzieller Bestandteil des Menschen«, betont Wilson. »Sie ist genauso wichtig wie die Freude.« Wir bräuchten beide, um uns zu regenerieren. »Ein Leben ohne Melancholie ist nur ein halbes Leben«, so Wilson. Man könnte auch sagen: Besser mit gelegentlichen Unglücksgefühlen steinalt werden, als dauerhaft glücklich sein zu wollen  – und schließlich früh zu sterben.
    Solche Sätze mögen zunächst befremdlich klingen, denn wie kann es sein, dass Glück und langes Leben sich widersprechen? Die Antwort: Das tun sie gar nicht. Denn es ist ja nicht das Glück, das ein langes Leben verhindert. Lebensverkürzend sind allein der sehnsüchtige Wunsch und das – zumeist vergebliche – Bemühen, das Glück zu finden. Für diesen Mechanismus gibt es mittlerweile sogar naturwissenschaftliche Belege. So fanden amerikanische Sozialpsychologen bei Frauen mit starkem Glücksstreben besonders niedrige Pegel an Progesteron. Dieses Hormon sorgt unter anderem dafür,
dass sich eine Frau mit jemandem verbunden fühlt, sein Mangel steht hingegen im Zusammenhang mit zwischenmenschlicher Distanz. Und tatsächlich gaben die betroffenen Probandinnen im Interview zu, dass sie sich einsam fühlten. Das Streben nach Glück – vor allem aber, wie Studienleiterin Iris Mauss betont, »nach dem materiellen Glück, wie es in westlichen Gesellschaften verstanden wird« – treibt uns also in die soziale Isolation, und dass die sich lebensverkürzend auswirkt, ist schon länger bekannt.
    Nicht zu vergessen, dass oft die lebensstabilisierende Ordnung verloren geht, wenn jemand das Optimum für sich herauszuschlagen sucht. Nehmen wir als Beispiel ein Ehepaar, das seit über 50 Jahren verheiratet ist. Möglich, dass es sich nicht mehr im Glückstaumel befindet, die Euphorie aus früheren Zeiten wird sich wohl abgeschwächt haben. Aber wenn man ein halbes Jahrhundert miteinander ausgekommen ist, spricht zumindest einiges dafür, dass man es miteinander aushält. Der übliche Gang der Dinge wäre, dass die beiden Partner noch ihre Diamanthochzeit feiern und jeweils über 90 Jahre alt werden. Doch wenn einer von ihnen auf die Idee kommt, dass es einen besseren Gefährten für ihn geben müsste, wird es Unruhe geben. Es werden Enttäuschungen, Aggressionen, Ängste und andere Stressgefühle aufkommen, die das Leben beider verkürzen. Und das geht nicht erst damit los, dass sie sich trennen. Bereits in dem Moment, wenn einer von ihnen zu glauben beginnt, etwas Besseres verdient zu haben als seinen jahrelangen Lebensgefährten, kommt die Unruhe.

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