Lanzarote
welterschließenden Bilder fehlen im Reklamereich des amerikanisierten Westens. Stumm steht der Held in Plattform vor seiner Vergangenheit, stumm vor seiner Gegenwart, und wie seine Zukunft aussehen soll, kann er sich „sowieso nicht recht vorstellen“. Nach dem Sieg von „Kapital und Information“ ist seine innere Leere absolut. Er liest Balduccis Roman Total control und Auguste Comtes Rede über den Geist des Positivismus, überzeugt,die Menschen vegetierten wie „Insekten in einem Bernsteinblock“. Dabei erinnert ihn die posthistorische Zivilisation an prähistorische Zeiten. Überall ist Gewalt. „Wir legten eine Pause ein, um zu essen. Zur gleichen Zeit schlugen Jugendliche aus der Cité einer Frau in den Sechzigern mit einem Baseballschläger den Schädel ein. Als Vorspeise nahm ich Makrelen in Weißweinsoße.“
Auch diese Gewalt ist eine Folge des Bildersturzes. Auf der ganzen Welt haben die neoliberalen Missionare ihre Gesetzestafeln aufgestellt, aber diese Tafeln sind blind und leer. Einmal betrachtet Houellebecqs Held die Grenze zu Thailand, und diese Landschaft ist, wie der Erzähler versichert, von überwältigender Schönheit. Und wieder bleibt der Held stumm - aber nicht, weil es ihm die Sprache verschlagen hätte, sondern weil es in seiner Wahrnehmung keine Bilder mehr gibt, in denen er das Naturschöne überhaupt als schön erfahren könnte. „Ich hatte diese (...) Formen schon irgendwo gesehen. Vielleicht in den Landschaften der italienischen Maler.“ Unter dem Dauerfeuer westlicher Medien sind diese erhellenden Bilder verblasst, oder mit einem Satz von Handke: Sie kommen „nicht mehr von selber“, sie sind „am Aussterben, überall unter dem Himmel“. Man muss sie vorsätzlich herbeirufen, und darum „bleiben sie ohne Bedeutung“. Die Wahrnehmung der Landschaft wird von keinem Bild „gequert“, keiner Metapher „gekreuzt“.
So ist es immer wieder derselbe Befund. Die Metaphern „sterben“, Information und Wissen enteignen die symbolische Wahrnehmung. Linguisten würden sagen: Weil die Hintergrundsemantik zerfällt, gibt es keine welterschließenden Metaphern mehr, in deren Licht die Romanfguren ihre Welt als sinnvolle erfahren könnten. Im Netz der westlichen Kultur zappelt und zuckt ein bilderloses, von allen Imaginationen gereinigtes und seinem Triebschicksal stumm ergebenes Subjekt, das verzweifelt die Wirklichkeit nach Sinn abtastet, aber zwischen Paris und Bangkok nichts anderes vorfndet als jene Schnittmuster, die die Hohen Priester der kapitalistischen Religion, Trenddesigner und „Verhaltenskonsumsoziologen“, vorgestanzt haben.
Und doch - eines vermag die Spiritualität des Konsums nicht aus der Welt zu bringen: das Leiden an Zeit und Endlichkeit. Handke und Houellebecq sind pessimistisch davon überzeugt, dass diese existenziellen Verhältnisse im symbolischen Kapitalismus erst recht hervortreten, und zwar wiederum mit archaischer Gewalt. Die new speak des Westens, sagen sie, habe die tröstenden Erzählungen vergiftet, mit denen Menschen ihre Grunderfahrungen deuten, ihre Erfahrung von Alter und Krankheit, Liebe und Tod. Houellebecqs Roman beginnt denn auch mit einer plakativen Anspielung auf eine Schockerfahrung der modernen Literatur, auf die Spurenlosigkeit des Todes. Der Vater des Helden wird ermordet aufgefunden, doch dieser Verlust lässt ihn völlig kalt. „Ich war ein bißchen angespannt; man hat eben nicht jeden Tag einen Todesfall in der Familie.“ Spurlos geht die Erfahrung des Todes an ihm vorüber, wortlos bleibt seine Trauer. Die Macht des Negativen ist erloschen und bildet keine sinnstiftenden Metaphern mehr. Der Held sitzt vorm Fernseher, darin kämpft Xena, die Kriegerin. Die Nacht wird „undurchdringlich, die Stille ebenfalls.“
Auch in Handkes Sezessionsroman verändert der „Bildersturz“ die Erfahrung von Zeit und Tod. Seine Heldin, von Beruf Bankkauffrau (wie eine Schlüsselfgur in Botho Strauß‘ Zeitroman Der junge Mann), war aus ihrem Heimatdorf gefüchtet, weil sie die „Leichenbesessenheit“ dort nicht mehr ausgehalten hatte, den Terror der Religion, die Atmosphäre des Todes, das Sterben der Kinder. Sie emanzipiert sich von der Macht des Negativen und wendet sich dem Geld zu. Allein „in der Vorstellung“ des Geldes „sah sie die Gegenrichtung angezeigt zu dem fnsteren Kadavergehorsam (...) Das Geld verkörperte das Diesseits und hieß: Jetzt.“
Doch Handke ist kein postmoderner Theoretiker, der die Verwandlung von
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