Lanzarote
Todeserzählungen in Geldgeschichten leichtsinnig als Fortschritt des Menschengeschlechts begrüßt. Im Gegenteil, für Handke entfaltet die rechtmäßige Befreiung von der bedrückenden Herkunft eine traurige Dialektik, und deshalb klingt seine Weltformel wie die von Houellebecq: Die Infationierung des Geldes ist die Defationierung von „Sinn“. Doch Vorsicht - nicht das Geld ist für Handke ein Problem, sondern jene verheerende Wirkung, die es entfaltet, wenn es als „Bild“ in die „Weltvermittlung“, in Symbole und Metaphern, einsickert und alle anderen Bilder verdrängt. Nur deshalb kann er sagen, die „Kauf-, Veranstaltungs-, Ereignis- und sonstigen Reiz-Bilder verhinderten das Ankommen auch nur eines einzigen jener Bilder, welche (...) allen Menschen die Welt ebenso darstellten wie auffrischten“. Unterm bilderlosen Blick der Aktienkurse lässt sich kein Sinn erschließen und keine Liebe gewinnen. „Was für ein Durcheinander. Und kein Zusammenhang. Keine Dauer, keine Dauer. Und doch das Leben. Das große Leben. Wie groß ist das Leben.“
So abenteuerlich es klingt: Auch für diesen Bildverlust machen Handke und Houellebecq die „abendländische“ Geschichte verantwortlich. Denn wenn die Tourismusmanager in Plattform ausschwärmen, um die Frohe Botschaft des Markt- und Lustprinzips zu verkünden, dann folgen sie nicht zufällig den Spuren des christlichen Seefahrers Christoph Kolumbus. Ihr Reisebüro, das Nouvelle Frontière heißt, organisiert „Entdeckungsreisen“ auch nach Kuba, und zwar an die Bucht von Baracoa, wo Kolumbus an Land ging. Hier auf Kuba verdichtet sich gewissermaßen das Weltgeschick, und hier kommt die vom jüdisch-christlichen Glauben in Gang gesetzte Moderne als ökonomistische Hochreligion zur Ruhe, errichtet auf den god terms von Geld und Sex. Die religiöse Verheißung ist wieder im Diesseits angekommen. Es sei nur noch eine Frage der Zeit, versichert der Erzähler, dann werde Kubas kommunistischer Nebenstrom in den kapitalistischen Hauptstrom einmünden und den Sieg der Tauschlogik vollenden. Fin de partie, Ende der Geschichte. Die dekadenten Sieger treffen auf eine Armutspopulation, die nichts anderes zu verkaufen hat als ihren nackten Körper. Cuba libre.
Auch die Staatenlosen, die in Handkes Roman Der Bildverlust aus der kriegerischen Weltgesellschaft in die Niemandsbucht Hondareda gespült werden, sind unglückliche Nachkommen des Christoph Kolumbus. Einer ihrer Vorfahren, so vermerkt der Erzähler, war Steuermann an Bord der Santa Maria und habe mitgeholfen, die „damaligen Weltgrenzen“ zu erweitern. Heute kommen die Ausgewanderten zurück in ihr „Stammland“, ernüchtert, „ausgespielt“ und - sprachlos. Denn auch bei ihnen rührt das Leiden an einer „ungegenwärtigen Gegenwart“ aus der Leere ihrer Sprachformen. Ohne Bilder, ruft Handke ihnen zu, keine „Weltvermittlung und kein Lebensgefühl“. Und so dümpeln seine Fahrensleute „im Toten Meer der Unzugänglichkeit“, in einem Phrasenstrom, von nichts anderem ge trieben als von dem Wunsch, dem Bildersturz zu entkommen und den größten Schmerz zu besiegen, den es in Handkes Welt gibt: den Verlust an Bedeutsamkeit und Anschauung. Im letzten Jahrhundert, so sagt der „Beobachter“, ist ein „Raubbau an den Bildern betrieben worden wie noch nie“. Die Bilderwelt sei „aufgebraucht - ausnahmslos blind, taub und schal geworden - von keinerlei Wissenschaft mehr aufzufrischen“.
Die globalisierte Neue Welt hat die Bilder der Alten Welt entkernt, und nun erschöpft sie sich in dröhnender Selbstwiederholung und feiert das Immergleiche des Neuen als die Erfüllung alteuropäischer Wünsche. Am Ende der abendländischen Mobilmachung, nachdem sich „Kapital und Information“ als liturgische Formeln weltweit durchgesetzt haben, entsteht eine grandiose Tautologie, eine Welt ohne Alternative, ruhelos und statisch, unbezwingbar und unaufhörlich, allein davon besessen, warenförmige Bedeutungen zu produzieren und alles Lebendige mit seinen Einheitszeichen zu überdecken. In dieser entzauberten Welt gibt es kein Ding, das nicht aussieht wie eine Ware, und keine Erfahrung, die nicht von Menschenhand stimuliert wäre. Wenn Houellebecqs Pauschaltouristen durch Kuba torkeln, entdecken sie das, was sie zuvor in den „Reiseführern gelesen haben“. Auch die Wunder werden künstlich erzeugt. „Und vergeßt nicht, irgendwo magische Augenblicke einzubauen“, sagt der Touristikboss in Plattform, bevor er
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