Lanzarote
sich wieder der „Berechnung von Festkosten“ zuwendet. „Sprachheilpädagogen“ bevölkern seine Clubs, und das Einzige, worin sie sich unterscheiden, ist der Grad geheuchelter Liebe, mit dem die dunklen und hellen Körper gemäß der „angebotsorientierten Ökonomie“ fusioniert werden.
Am Ende sprengt Houellebecqs Roman, mit den üblichen reaktionären Untertönen, die symbolische Ordnung des Westens gleich ganz in die Luft. Apokalyptisch gestimmt, ist Gewalt der vacuum cleaner, der die Leere der „TUI, Adidas, Nike“-Welt zur Implosion bringt. Natürlich, auch das macht seinen Roman nicht zu einem politischen Manifest; er bleibt bis zuletzt ein, zugegeben, grob gestricktes ästhetisches Gebilde, weitaus schlichter als die „wiederholten Spiegelungen“ in Handkes zerquältem Epos Der Bildverlust. Dessen Misstrauen gegen moderne Sprachformen ist so groß, dass er sogar die „Schrift“ des Erzählers durchstreicht und jeden Satz in Mündlichkeit aufheben möchte, in das „Sein“ der reinen, im Fluss der Erzählung vergehenden Zeit. Wie Sprachlehrlinge müssen sich seine Figuren vom westlichen Imaginationsmüll reinigen, um im Medium „reiner Anschauung“ zu einer neuen „Fassung“ zu gelangen. Erst nach diesem Durchgang durch die Namenlosigkeit kann die Natur wieder auf neue Namen „getauft“ und der Monotheismus des Westens überwunden werden.
Wohin führt die Flucht aus der traumlosen Gegenwart?
Auch Houellebecq, der intellektuelle Perlentaucher mit ständigem Blick auf den Philosophen Alexandre Kojève, beschreibt die Pax Americana nicht politisch - als System der Freiheit -, sondern allein als Sinnverlust und symbolische Schließung. Die liberale Praxis ist für ihn eine Herrschaftsform, die das Besondere tilgt, alles Leben seiner Souveränität beraubt und von authentischen Bildern abschneidet. Weil er „den Westen“ allein als Säkularisat des Monotheismus beschreibt, bilden die Hochreligionen auch für Houellebecq den Focus für seinen kulturkritischen Hass. Ausgehend vom Monotheismus, habe sich der Westen in eine millenaristische Erlösungsreligion verwandelt - in ein europäisch-amerikanisches Empire. Vollständig sind die alten spirituellen Energien in die neue Ordnung eingewandert und entzaubert worden. Der Fluchtweg aus dieser traumlosen Moderne, so jedenfalls kann man Houellebecq verstehen, führt nur über die Trümmerder jüdisch-christlichen Tradition.
Dieser fatale Fehlschluss hat schon in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts viele Intellektuelle zum Kampf gegen „bürgerliche Moral“ und egalitäre Demokratie verleitet. Auch damals machten sie keinen Unterschied zwischen dem Recht der Freiheit und der Gewalt des Geldes, zwischen Politik und Kultur. Alles war eins, und an allem trug jener „bilderlose“ Monotheismus Schuld, der die „Wurzeln“ des „Ursprungs“ gekappt habe. Heute ist der antimonotheistische Affekt genauso zweischneidig wie damals. Auf der einen Seite macht er empfndlich für die Verluste der modernen Mobilmachung; auf der anderen Seite verhöhnt er das Leidens- und Gerechtigkeitsbewusstsein, das die Religionen der Welt geschenkt haben. Ganz fnster wird es, wenn literarische und politische Fantasie verwechselt werden. Handke hat in seinem Serbienbuch schon einmal den Unterschied zwischen Ästhetik und Politik aufgehoben und einer (serbischen) Diktatur den Hof gemacht. Und dass Walsers mythischer Affekt gegen die Religion auf einen strukturellen Antijudaismus zutreibt, kann nur übersehen, wer dessen Selbstbekenntnisse bagatellisiert (Martin Meyer in der NZZ vom 15. 6. 02). Dagegen lassen Houellebecq und Handke dem Leser diesmal die Freiheit, das Unbehagen an der symbolischen Weltgesellschaft ernst zu nehmen, ohne die Hassfantasien teilen zu müssen.
erschienen in: Die Zeit 30/2002
„Nur Dummköpfe haben Angst vor Gentech“
Interview mit Michel Houellebecq
Kein Roman ist in Frankreich in letzter Zeit hitziger diskutiert worden als „Les particules élémentaires“. Der Autor, Michel Houellebecq, sieht sich als geprügelter Bote einer schönen neuen Gentech-Welt.
Von Astrid Mayer
Schon lange nicht mehr hat ein Roman in Frankreich so heftige Reaktionen ausgelöst wie „Les particules élémentaires“. Die Literaturzeitschrift, der Michel Houellebecq, der Autor, angehörte, warf ihn kurz nach Erscheinen des Romans hinaus. Houellebecq hat in den vergangenen Wochen alles gesehen und gehört: In erbitterten Auseinandersetzungen
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