Lanze und Rose
über ihnen in die Unendlichkeit erstreckte.
»Ja, Großvater Kenneth wird über uns wachen.«
Liams Herz zog sich vor Rührung zusammen. Sein Sohn konnte mit ihm reden wie ein Mann, und im nächsten Moment wurde er wieder zum Kind. Und dieses Kind zerrte er mit sich in den Krieg.
In dieser Nacht trug Liam beim Einschlafen die seidige, tiefschwarze Haarsträhne auf dem Herzen. Er träumte von Caitlin, von ihrem warmen Körper, der unter seinem lag, von ihrer weichen Haut unter seinen Fingern, und von ihren Lippen, die so süß wie Honig waren. Er sah vor sich, wie seine Hände die anmutige Linie ihres Halses, ihrer Schultern nachzogen. Dann glitten sie tiefer und umfingen ihre Brüste, um sie wieder freizugeben und ihren Weg bis zu der Rundung ihrer Hüften fortzusetzen und dort einen Moment lang zu verharren, um dann zwischen ihre Schenkel zu wandern… an den Ort, an dem er sich verlieren, sich verstecken wollte. In sie hineinzugleiten und dort Zuflucht zu finden, sich in ihre Wärme zu schmiegen und nie wieder hervorzukommen … Er stöhnte.
Eine Hand packte ihn und rüttelte an ihm. Nein! Er wollte nicht! Ich will hier bleiben, lasst mich in Ruhe! Wieder seufzte er. Caitlins süße Wärme verließ ihn, und er zitterte. Nein!
»Nein …«
»Liam! Geht es wieder?«, flüsterte eine Stimme.
Die Hand schüttelte ihn sanft. Liam schlug verstört die Augen auf.
»Alles in Ordnung?«
Simon beugte sich über ihn und sah ihn besorgt an.
»Ähem … Ja, es geht schon wieder, Simon, ich glaube, ich habe geträumt. Tut mir sehr leid, dich geweckt zu haben.«
Simons Hand drückte behutsam seine Schulter.
»Ich weiß, wie das ist, Liam. Genauso war das vor Killiecrankie.«
»Ja …«
»Schlaf weiter. Bald wird es Morgen sein; wir haben noch eine oder zwei Stunden.«
Liam schloss die Augen. Caitlin, a ghràidh … fan leamsa, tha dith agam ort. Caitlin, meine Liebste … Bleib bei mir, ich brauche dich.
Doch er schlief nicht wieder ein.
11
Drummond Castle 12. November 1715
Die Eisblumen schmolzen unter Marions warmen Fingern, die auf dem Fensterglas lagen. Die herrlichen Gärten, die sich unterhalb von Drummond Castle erstreckten, lagen erstarrt unter einer dünnen Schneedecke, die in der vergangenen Nacht gefallen war. Die junge Frau betrachtete die Sonnenuhr aus dem letzten Jahrhundert, die sich im Zentrum des Andreaskreuzes, das die mit Kies bestreuten Wege bildeten, erhob. Doch in Gedanken war sie weit fort.
Ein hartnäckiges Husten und das Knarren eines Ledersessels rissen sie aus ihren Tagträumen. Doch sie wandte sich nicht um, sondern zog es vor, ihren Blick noch ein wenig über die wunderschöne Umgebung schweifen zu lassen und sich vorzustellen, wie prachtvoll der Rosengarten im Juni aussehen mochte. Kurz schloss sie die Augen und rief sich den schweren Duft der Rosen ins Gedächtnis, die einst die Gärten von Chesthill gesäumt hatten und die ihre Mutter mit so viel Liebe gepflegt hatte. Heute waren die Büsche den Dornengewächsen und dem Unkraut überlassen. Margaret, die sie gepflegt hatte, war nicht mehr da, und sie, Marion, hatte kein besonderes Geschick für die Gartenarbeit. Doch es gab ihr einen Stich ins Herz, sich an die Schönheit des Gartens zu erinnern.
Wieder erklang hinter ihr das Husten. Bedauernd riss die junge Frau den Blick von der blassen Landschaft los und wandte sich langsam zu dem alten Mann um, der in seinem Sessel herumrückte. Das tief zerfurchte, rot angelaufene Gesicht des Earl of Breadalbane zuckte krampfartig. Der Mann streckte eine zitternde
Hand nach der Kanne aus, die auf dem Tisch zu seiner Rechten stand, und griff danach. Zerstreut sah Marion zu, wie ihr Onkel sich mit unsicheren Bewegungen einen Becher Wein einschenkte, um den neuen Hustenanfall, der ihn schüttelte, zu beruhigen.
»Setzt Euch, meine Liebe«, forderte Sir Grey John Campbell sie schließlich auf und stellte seinen Becher auf den Tisch.
Aus tief in den Höhlen liegenden kleinen grauen Augen musterte er sie. Sie rührte sich nicht.
»Nein, wenn es Euch nicht stört, möchte ich lieber stehenbleiben.«
»Wie Ihr wollt!«, meinte er und klopfte mit seinem Stock auf den Boden vor sich.
Klappernd ließ er die Krücke auf das Parkett aus gewachster Eiche fallen und zog die Decke, die seine dünnen, in braunen Samt gekleideten Beine wärmte, hoch.
»Ihr müsst nach Glenlyon zurückkehren, mein Kind«, begann er. »Es wird nicht mehr lange dauern, bis die Kämpfe beginnen. Eurem Vater wäre es
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