Lanze und Rose
lieber, Euch im Schutze seines Tales zu wissen.«
»Ich weiß …«
Das lange, magere Gesicht unter der Perücke wirkte gelblich. Marion biss sich auf die Lippen. Sie wollte nicht fort, jedenfalls noch nicht. Gewiss, ihr Vater hatte ihr das Versprechen abgenommen, so schnell wie möglich nach Hause zurückzukehren, sobald sie sich in der Lage fühlte, erneut zu reisen. Doch es war ihr gelungen, ihre Abreise um einige Tage hinauszuschieben, indem sie diverse Leiden vorgeschützt hatte. Aber heute waren ihr die Ausreden ausgegangen. Und Breadalbane, der sie durchschaut hatte, konnte es nicht abwarten, sie aus dieser Gegend, in der die jakobitischen Armeen lagerten, herauszubringen.
Der Laird hatte ihm von dem kleinen Ausritt seiner Tochter mit einem Mann aus Glencoe erzählt. Marion hatte beinahe geglaubt, den alten Mann werde der Schlag treffen, doch er hatte es verkraftet. Der alte Fuchs war wie vor den Kopf geschlagen gewesen. Mit aller Kraft, die er noch besaß, hatte er Gift und Galle gespien. Glenlyons Tochter mit diesem Abschaum aus
Glencoe? Welch ein Grauen! Dieses Volk von Banditen durfte auf keinen Fall mit einer Tochter des glanzvollen Hauses Campbell verkehren, und erst recht nicht mit der Tochter des Laird von Glenlyon. Aber Duncan ist ein sehr korrekter junger Mann!, hatte sie ihn zu beruhigen versucht. »Korrekt ?«, hatte Breadalbane gebrüllt. »Ein Mann aus Glencoe, korrekt? Ich kenne sie gut genug, um zu wissen, dass kein Mann aus dem verfluchten Tal redlich sein kann! Dieses Tal ist ein Nest von Schurken, blutrünstigen Räubern und Banditen!«
Der Alte hatte seine Worte mit einem solchen Zorn hervorgestoßen, dass sie nicht gewagt hatte, etwas darauf zu erwidern. Sogar ihr Vater war verstummt. Dieser Vorfall hatte sie dazu gebracht, sich zu fragen, ob er dieselbe Vorstellung vom Clan der Macdonalds hatte wie Breadalbane. Es war offensichtlich, dass ihr Vater diesen Leuten keine Liebe entgegenbrachte: In seinem Viehbestand fehlten regelmäßig einige Tiere, nachdem sie in seine Ländereien eingefallen waren. Aber noch nie hatte sie ihn so heftig über sie schimpfen hören wie den alten Earl. »Wenn Robert, dieser Idiot, seine Arbeit anständig getan hätte, dann wären heute die Berge von Argyle und Breadalbane friedlicher und sicherer und würde nicht von diesem abscheulichen Gesindel wimmeln, diesen Galgenvögeln!«, hatte der alte Mann gedonnert und mit seinem Stock hart auf den Boden geschlagen. Sie hörte noch den Nachhall seiner letzten Schimpftirade.
»Marion Campbell!«
Sie fuhr zusammen.
»Ihr werdet morgen in aller Frühe abreisen«, erklärte er und sah sie ernst an.
»Morgen?«
»Ich habe meine Kutsche für Euch herrichten lassen. Drei Männer werden Euch eskortieren.«
»Ich kann nicht fort, die Männer meines Clans werden nach den Kämpfen sicherlich Pflege benötigen …«
»Unsinn! Dazu gibt es genug Frauen im Lager!«
Sie suchte nach Worten, um ihn umzustimmen. Doch sie wusste, dass es verlorene Mühe war. Nur ein missbilligender
Laut kam über ihre Lippen. Breadalbane musterte sie einen Moment lang mit unnachgiebiger Miene, dann wurden seine Züge ein wenig weicher.
»Ich bin Euch dankbar für alles, was Ihr für mich getan habt, Marion«, sprach der alte Mann in ruhigerem, beinahe freundlichem Ton weiter, »aber ich kann Euch nicht erlauben, länger hierzubleiben. Die Armee des Duke of Argyle ist zu nahe.«
Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, der erneut knarrend protestierte.
»Wenn Argyle erfährt, dass Ihr Euch in Inveraray in sein Arbeitszimmer geschlichen habt …«
»Niemand hat mich gesehen.«
»Man darf sich seiner niemals zu sicher sein, glaubt mir. Das ist ein Fehler, der sich für uns als verhängnisvoll erweisen könnte. Es sind schon Köpfe gerollt, weil Männer sorglos und unvorsichtig waren.«
»Niemand befand sich in diesem Flügel des Schlosses, als ich hineingegangen bin. Alle waren damit beschäftigt, das ›schwarze Lager‹ von General Gordon zu beobachten, das weniger als eine Meile von dort entfernt lag.«
»Einer der Dienstboten vielleicht? Wie soll man das wissen?«
Das war wenig wahrscheinlich. Immer wieder hatte sie sich vergewissert, dass ihr niemand gefolgt war. Und außerdem, wer hätte sich Gedanken wegen eines Soldaten gemacht, der in den Fluren des Schlosses, das dem General von König Georges Armeen gehörte, patrouillierte? Denn sie trug eine Uniform der Krone, die sie aus dem Arbeitszimmer des Duke entwendet hatte, als
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