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Lanze und Rose

Lanze und Rose

Titel: Lanze und Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
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einer Scheune und einem Pferdestall untergebracht, welche die Armee als Lazarett beschlagnahmt hatte. Die anderen Soldaten würden unter freiem Himmel oder in einem improvisierten Unterstand schlafen. Die letzten Gruppen waren soeben eingetroffen, schwer beladen mit der Beute, die sie auf dem Schlachtfeld zusammengerafft hatten. Musketen, Schwerter, Standarten, Knöpfe, Gürtelschnallen aus Gold und Silber, Uhren und goldene Ketten; alles, was auch nur den kleinsten Wert hatte, hatten sie den Leichen entrissen, die dicht an dicht die Ebene und die Ufer des Flusses, der sie säumte, bedeckten.
    In einer Ecke der Scheune lag Duncan auf einer alten Decke, die man über das Stroh gelegt hatte, um ihn vor der von dem eisigen Boden aufsteigenden Kälte zu schützen. Eine Öllampe beleuchtete die zerschnittene Seite seines Gesichts. Liam betrachtete den Schlummernden, und das Herz wurde ihm schwer. Die Narben würde der junge Mann sein ganzes Leben lang tragen, als grausame Erinnerung an diese furchtbare Schlacht. Dann dachte er wieder an Ranald und erbebte vor Zorn. Sein Sohn… Man hatte ihm seinen Sohn genommen! Würde Caitlin ihm jemals verzeihen? In diesem Moment hätte er sie so sehr gebraucht.
    Ihn hatte Gott verschont, doch sein Herz hörte nicht auf zu bluten. Er hätte einen Arm, ein Bein, sogar sein Leben hergegeben, damit Ran zurückkehrte, doch sein Tod war erbarmungslose Realität. Hatte Gott vielleicht den Leiden seines Sohnes ein Ende machen wollen und ihm einen edlen Tod geschenkt? Ranald
hatte sich tapfer geschlagen und war für ihren König gestorben, den einzigen König, der einen legitimen Anspruch auf den Thron von Schottland und Großbritannien erheben konnte. Er war ehrenvoll gefallen, und das durften sie niemals vergessen. Aber würde Caitlin das verstehen?
    Duncan stöhnte und regte sich. Die Klinge hatte ihm die linke Seite des Gesichts aufgerissen. Der Schnitt verlief vom Wangenknochen bis zum Kinn und hatte die Haut abgelöst, so dass blutiges Fleisch und weiße Knochen zu sehen waren. Zum Glück war die Wange nicht durchbohrt worden; sie würde also rasch heilen.
    Eine verstohlene Bewegung zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Er schaute auf und sah gerade noch einen Rock wirbeln und eine feuerrote Mähne fliegen. Dann war die Gestalt im Dunkel der Nacht verschwunden. Einen Moment lang war er wie erstarrt, wie vor den Kopf geschlagen angesichts dieser Erscheinung. Glenlyons Tochter? Aber was hatte das Mädchen hier zu suchen? Duncan hatte ihm versichert, sie sei nach Chesthill zurückgekehrt … Es sei denn, sie …
    Nach einem kurzen Blick auf seinen Sohn, der immer noch schlief, musterte er die Stelle, an der die junge Frau verschwunden war. Die Verletzten aus Glenlyon lagen im Stall, einige Schritte entfernt. Vielleicht war sie ja auf der Suche nach ihrem Vater. Ein rotes Aufleuchten, das ein blasses Gesicht wie eine Aureole umgab … Er sah, wie sie sich von neuem durch die Tür, die im Wind schlug, duckte. Ihre Blicke trafen sich. Nein, sie suchte nicht nach ihrem Vater, dachte er und stand auf. Sie huschte davon, und er nahm die Verfolgung auf.

    Zusammengekauert, den Rücken gegen ein Wagenrad gelehnt, spürte Marion, wie ihr Herz zum Zerspringen schlug. Sie hatte ihn gesehen… Duncan, sie hatte ihn gesehen! Aber sie hatte auch den bekümmerten Blick bemerkt, mit dem sein Vater ihn angeschaut hatte. Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Ob er tot war? Sie hatte nicht gewagt, die Männer des Macdonald-Clans danach zu fragen, ja nicht einmal, sich ihnen zu nähern.
    Ohne Vorwarnung tauchte eine riesige Silhouette vor ihr auf
und verdeckte die bläuliche Scheibe des Mondes, die an dem von schüchternen Sternen übersäten Firmament stand.
    »Marion Campbell?«, fragte eine tiefe Stimme, an der sie Duncans Vater erkannte.
    »Ja …«
    »Ich … Also, solltet Ihr nicht eigentlich in Glenlyon sein? Duncan hat mir erzählt, dass …«
    »Ich bin geblieben«, unterbrach sie ihn verlegen. »Ich habe mir gesagt, man bräuchte gewiss Hilfe bei der Versorgung der Verwundeten …«
    »Euer Clan ist in dem anderen Gebäude untergebracht.«
    »Ich weiß.«
    Sie fühlte sich immer unwohler und hielt den Blick starr auf einen schimmernden Kieselstein gerichtet, der vor ihr wie eine einsame Insel aus einer gefrorenen Pfütze ragte. Der Mann sagte weder etwas, noch rührte er sich. Ganz offensichtlich erwartete er noch eine andere Erklärung. Das Schweigen, in dem nur das Stöhnen der Verwundeten und das

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