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Lanze und Rose

Lanze und Rose

Titel: Lanze und Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
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Gebrüll der Offiziere, die ihre Befehle gaben, zu hören war, zog sich in die Länge. Marion bewegte sich.
    »Es geht ihm gut«, bemerkte Liam nach einer Weile.
    »Oh!«, stieß sie hervor und schlug die Hand vor den Mund, um einen erleichterten Seufzer zu unterdrücken, der sich ihr trotzdem entrang.
    »Er ist verletzt, doch wenn er richtig versorgt wird, dann wird er es überstehen.«
    Sie riskierte einen Blick auf ihn. Es war zu dunkel, um seine Züge zu erkennen, aber an seiner Stimme erkannte sie, dass er zutiefst erschüttert war. Wenn Duncan mit dem Leben davongekommen war, wer …? Sein Bruder? Doch sie wagte nicht, die Frage zu stellen.
    »Wolltet Ihr ihn sehen?«
    »Ich möchte ihn nicht… stören.«
    »Als ich hinausgegangen bin, hat er geschlafen.«

    Ihr blutete das Herz, als sie in das entsetzlich zerschlagene Gesicht des Mannes, der zu ihren Füßen lag, blickte. Die klaffende
Wunde nahm beinahe die ganze linke Wange ein. Es würde sehr geschickter Finger bedürfen, sie zu nähen. Sie kauerte sich nieder, um ihn zu betrachten. Nein, an diese Arbeit durfte man gewiss keinen dieser Schlächter heranlassen, die Fleischfetzten mit groben Stichen zusammenfügten, als wären es einfach nur Lederstücke. Ach, Duncan, was haben sie dir nur angetan?
    Sie spürte, dass Liam hinter ihr stand, doch er rührte sich nicht. So verharrten sie lange Minuten, schweigend inmitten des lärmenden Chaos, das um sie herum herrschte. Blutüberströmte, stöhnende Verletzte wurden auf Tragen, die man provisorisch aus Astwerk gefertigt hatte, hereingetragen. Überall schwebte der Geruch des Todes. An einer Mauer lagen Leichen aufgereiht, bedeckt mit zerrissenen Plaids, unter denen hier und da ein Arm oder ein Bein hervorragten.
    »Ich nehme an, dass Ihr sticken könnt, Mistress Campbell?«, fragte Liam aus heiterem Himmel.
    Marion zuckte zusammen und sprang dann auf, um den Mann anzusehen. Er betrachtete sie mit ernster Miene.
    »Sticken?«
    Liam nahm ihre Hand, strich mit den Fingerspitzen darüber und untersuchte sie genau.
    »Ja, Ihr wisst schon … Mit einer Nadel. Ihr habt doch sicherlich nähen gelernt …«
    Mit einem Mal begriff Marion, worauf er hinauswollte, und erbleichte. Langsam wandte sie sich zu Duncan um. Ihr wurden die Knie weich. Natürlich konnte sie nähen. Sie war sogar recht begabt für diese Art von Arbeit. Aber … menschliches Fleisch zusammennähen? Und dann noch das von Duncan? Ihre Finger zitterten, doch Liam nahm ihre Hand.
    »Ihr werdet es schaffen, das weiß ich einfach«, versicherte er ihr, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Außerdem scheint Ihr im Moment nicht allzu viel zu tun zu haben …«
    Er zögerte, und sein Blick verdüsterte sich leicht.
    »Es sei denn, dass Ihr Eure Dienste nur Euren eigenen Leuten zuteil werden lasst … Das könnte ich verstehen.«
    Gekränkt riss sie ihre Hand zurück und verzog beleidigt das Gesicht.

    »Ihr täuscht Euch in mir, Mr. Macdonald! Es ist nur … Ich weiß nicht… Ein Gesicht wieder zusammenzunähen, das ist nicht ganz das Gleiche, als würde man ein Hemd säumen.«
    Der Mann betrachtete sie mit vor der Brust verschränkten Armen. Doch, Duncan sah seinem Vater ähnlich. Das gleiche breite Gesicht, der gleiche Blick. Verwirrt flüchtete sie vor ihm und kauerte sich erneut neben dem elenden Lager des Verwundeten nieder. Zögernd und behutsam schob sie die abgelöste Haut zurück, um die entsetzliche Wunde zu schließen. Jetzt sah man nur noch eine schmale, geschwungene Linie, die vom Auge ausging und am Mundwinkel endete. Der junge Macdonald stöhnte leise. Sie schloss die Augen und schluckte. Ein scheußlicher Geschmack stieg ihr in den Mund, und sie biss die Zähne zusammen, um ein Würgen zu unterdrücken. Verflucht! Liam stand immer noch hinter ihr und wartete.
    »Ihr braucht Euch nur vorzustellen, dass Ihr Euer schönstes Mieder flickt.«
    »Ich werde es tun.«
    Die Worte waren ihr fast ohne ihr Zutun entschlüpft. Sie würde Duncans Gesicht zusammennähen … Das Entsetzen über die Aufgabe, die sie vor sich hatte, ließ sie das Gesicht verziehen. Menschliches Fleisch zusammennähen … Das war nicht ganz das, was sie sich vorgestellt hatte, als sie sich zum Bleiben entschlossen hatte. Wie hatte sie auch nur so naiv sein können! Das war der Krieg! Da ging es nicht darum, jemandem einen Splitter aus dem Daumen zu ziehen oder einen Umschlag auf einen verstauchten Knöchel zu legen. Diese Männer rangen mit dem Tod, und es galt, die Stümpfe

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