Lanze und Rose
Leiste anging, so hatte sie den Eindruck, dass sie auf dem Wege der Besserung war, denn er humpelte beim Gehen jetzt kaum noch.
Die Tür flog auf, und Breadalbane stand plötzlich im Raum. Er war allein. Ihr Vater war es gewesen, der den alten Earl darüber informiert hatte, dass sie sich in Perth aufhielt. Zwei Wochen lang war es ihr gelungen, ihrem Vater und den Männern seines Clans, die sie gut kannten, aus dem Weg zu gehen. Doch sie hatte gewusst, dass das Unvermeidliche eines Tages eintreten würde. Und so war es auch geschehen:
Sie war dabei gewesen, frisches Wasser zu schöpfen, um den morgendlichen Haferbrei zuzubereiten, und bückte sich gerade nach dem zweiten Eimer, der hinter ihr stand, als sie ein Paar Stiefel erblickte, das sie kannte. Sie schaute auf und begegnete dem Blick ihres Vaters, der sie unverwandt ansah. Seine Miene war undeutbar, aber die Blässe seines Gesichts unter der von Grau durchzogenen roten Mähne sprach Bände. Ihr Vater zog sie in einen ruhigeren Winkel.
»Ich verlange eine Erklärung, Marion!«, brüllte er und ließ sie plötzlich los.
»Nun ja, ich helfe im Lager. Ich wusste doch, dass die Männer nach der Schlacht Pflege und ein wenig Trost brauchen würden, da konnte ich einfach nicht fort.«
Der Laird von Glenlyon betrachtete sie und zögerte. Zumindest war ihre Ausrede einigermaßen annehmbar. Doch sein Zorn wurde dadurch nicht geringer.
»Ich hätte es dennoch zu schätzen gewusst, wenn du mich über deine Pläne informiert hättest. Vergiss nicht, dass ich dein Vater bin. Und ich glaubte dich auf Chesthill in Sicherheit! Du musst zugeben, dass ich jeden Grund habe, mich zu echauffieren.«
»Vor dem Beginn der Kämpfe hatte ich keine Zeit, dir Bescheid zu geben, log sie. »Und danach waren da all die Verletzten, um ich mich kümmern musste… Da habe ich nicht mehr daran gedacht.«
»Ach, Marion Campbell!«, brummte ihr Vater und schüttelte verärgert den Kopf. »Habe ich nicht schon genug Probleme mit meinen Schulden? Nicht nötig, dass du mir noch zusätzliche bescherst. Und dann ist auch noch dein Bruder verschwunden!«
»Mein Bruder? David ist von zu Hause weggelaufen?«
»Ich spreche von deinem Bruder John. Er ist am Morgen der Schlacht nicht im Lager aufgetaucht, und in den Wochen danach auch nicht. Ich
dachte, die Probleme in der Mühle wären größer als vorhergesehen, doch dann hat einer meiner Männer mir mitgeteilt, dass schon alles einige Tage vor den Kämpfen geregelt worden sei. Ich mache mir Sorgen und werde wohl nach Glenlyon zurückkehren müssen, um festzustellen, was geschehen ist.«
John war verschwunden, und zwar seit dem Abend, an dem sie ihm das belastende Dokument übergeben hatte? Ihr blieb fast das Herz stehen. Was war passiert?
Die hohle Stimme des Earl of Breadalbane holte sie in die Gegenwart zurück.
»Also, Mistress Campbell, was habt Ihr zu Eurer Verteidigung zu sagen?«
Die kleinen, kalten, machtbewussten Augen, die sie ansahen, vertrieben die ganze Wärme, die sie zuvor empfunden hatte. Sie erschauerte.
»Ihr versteht wohl, in welche Lage Euer Ungehorsam uns gebracht hat!«
Langsam nickte sie.
»Was habt Ihr mit dem Dokument gemacht, das ich Euch anvertraut habe, da Ihr ja ganz offensichtlich nicht nach Finlarig geritten seid?«
Seine Stimme klang pfeifend. Die Art, wie er die schmalen, blassen Lippen zusammenpresste, verriet Marion, dass er sich nur mit allergrößter Mühe beherrschte. In der Tat, das war eine Katastrophe. Und kein Lebenszeichen von John. Alles Leugnen war jetzt sinnlos.
»Ich habe es meinem Bruder John gegeben. Er sollte es nach Finlarig bringen und hatte vor, am Tag der Schlacht noch vor Sonnenaufgang wieder im Lager einzutreffen.«
Der Gehstock knallte auf das Parkett, und sie zuckte zusammen. Breadalbane fluchte halblaut vor sich hin. Sein Zorn steigerte sich noch.
»Ihr habt gegen meine Befehle verstoßen, Ihr törichte Gans! Der kleine Nichtsnutz hat sich weder im Schloss noch im Lager blicken lassen. Vielleicht habt Ihr eine Ahnung, wo er sich verkrochen haben könnte?«
»Verkrochen? Wie, glaubt Ihr etwa, er hat das Dokument mit Absicht bei sich behalten und ist geflohen? Ist Euch denn nie die Idee gekommen, dass er vielleicht angegriffen oder sogar getötet worden sein könnte?«
Ein boshaftes Lachen, bei dem sie eine Gänsehaut überlief, hallte durch das Zimmer.
»Bei den Campbells von Glenlyon wird die Blödheit wahrhaftig von einer Generation auf die andere vererbt«, höhnte
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