Lanze und Rose
kann, wenn es unseren Plänen dienlich ist.«
»Was Ihr ›ihre wilde Art‹ nennt, sind ihr Stolz und ihre Ehre!«
Der alte Mann war voller Hohn.
»Ehre? Pah!«
Er lachte meckernd und klopfte mit seinem Stock auf das Parkett.
»Könnten wir jetzt bitte auf die Angelegenheit zurückkommen, die mich interessiert und die im Augenblick dringlicher ist? Ich will, dass Ihr dieses Dokument zurückholt, Marion. Geht sofort packen, Ihr habt keine Minute zu verlieren.
Und dieses Mal werdet Ihr mir nicht durch die Finger schlüpfen.«
Verblüfft starrte sie ihn an. Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht.
»Wie denn, soll das heißen, dass ich noch heute reisen soll?«
»Macgregor weiß bereits Bescheid. Er ruft seine Männer zusammen. Ihr werdet in einer Stunde aufbrechen.«
»Aber…«
Sie blinzelte. Ihr Hals fühlte sich wie ausgetrocknet an. Sie schluckte schmerzhaft, während Breadalbane sie kalt musterte.
»In einer Stunde, und versucht heute nicht, mich hinters Licht zu führen.«
Es klopfte an der Tür. Barb Macnab, die Dienstmagd, trat ins Zimmer.
»Ich habe ihn nicht gefunden, Mistress Campbell. Ich habe mich bei den Männern seines Clans erkundigt, aber seit mehreren Stunden hat ihn niemand gesehen.«
»Oh verflucht!«
Sie hob ihren Elfenbeinkamm auf, der ihr zu Boden gefallen und zerbrochen war, betrachtete die Stücke verärgert und stopfte sie dann zornig in ihre Tasche.
»Ich muss mit ihm sprechen, Barb. Ihm erklären, warum ich abreise.«
»Ich bin dreimal durch das Lager gegangen. Die Männer fingen sogar schon an, mir wenig ehrenhafte Angebote zu machen, wenn Ihr versteht, was ich meine. Er ist unauffindbar.«
»Versucht es noch einmal! Ich habe nicht mehr viel Zeit.«
Die kleine, rundliche Dienerin, deren Gesicht vom Laufen gerötet war, warf der Tochter ihres Laird einen aufgebrachten Blick zu.
»Ich finde es nicht gut, dass Ihr diesen Macdonald so oft seht«, murrte sie dann.
»Habe ich dich um deine Meinung ersucht, Barb?«
»Nein, aber ich sage sie Euch trotzdem. Die Leute fangen an, sich die Mäuler zu zerreißen…«
»Meinetwegen, sollen sie doch reden! Dann haben sie wenigstens
einen anderen Gesprächsstoff als die Unentschlossenheit des Earl of Mar oder die Spekulationen über die Truppenstärke des Duke of Argyle – gar nicht zu reden von dem Prätendenten, der immer noch ausbleibt.«
Auf der Suche nach ihrem zweiten Strumpf lief sie im Zimmer umher und durchwühlte ihre Besitztümer. Endlich fand sie ihn unter dem Bett und steckte ihn in die Tasche.
»Bitte…«, flehte sie die Magd an.
»Gut, aber das ist das letzte Mal! Ich werde Macgregor sagen, dass Ihr noch ein Weilchen braucht. Er wartet unten auf Euch.«
»Was, schon?«, rief Marion und stürzte zum Fenster, wobei sie über einen Schuh stolperte. »Dann soll er eben warten!«
Duncan schlüpfte in seine lederne Weste und drapierte dann sein Plaid geschickt über die linke Schulter. Es wurde immer auf dieser Seite befestigt, denn so trug man die Farben seines Clans auf dem Herzen.
»Dann weigert sich also der Earl of Mar, in den Kampf zu ziehen?« , fragte sein Vater.
»So ungefähr.«
Er wandte sich um und sah, dass Liam ihn freudlos anschaute. Sein Vater war am Vormittag in Perth eingetroffen. Etwas an seinem Gebaren hatte sich verändert. Duncan hätte nicht genau sagen können, was, aber … Sein Blick war anders, und seine Haltung und seine Stimme ebenfalls … Ranalds Tod musste ihn tiefer getroffen haben, als er gedacht hatte.
Und als er nach seiner Mutter gefragt hatte, hatte sein Vater gemurmelt, sie sei stark, und sie werde schon darüber hinwegkommen. Doch mehr hatte er nicht sagen wollen und das Gespräch in eine andere Richtung gelenkt, indem er sich danach erkundigte, was sich nach dem Rückzug nach Perth begeben hatte.
»Jeden Tag verlieren wir Männer. Sie desertieren, um zu ihrer Familie zurückzukehren. Seit den niederschmetternden Nachrichten über die Kapitulation von Mackintoshs Truppen und der englischen Jakobiten in Preston und die Einnahme von Inverness durch die Männer der Regierung liegt die Moral am Boden.
Mar hätte gleich in den ersten Tagen nach Sheriffmuir eine Revanche fordern sollen. Jetzt weiß ich nicht mehr, ob es noch Sinn hat…«
»Hat er denn den erwarteten Nachschub aus Frankreich nicht erhalten?«
Liams Züge wirkten ausgehöhlt. Duncan war sich plötzlich ganz sicher, dass in Glencoe etwas vorgefallen war. Er hätte es sogar schwören können.
»Nein, noch nicht.
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