Lanze und Rose
wir den Whisky dieses Mal besser weglassen sollten«, meinte er schmunzelnd.
Er griff noch einmal in seinen Sporran .
»Da ist es ja!«, rief er aus und legte einen kleinen Salzkristall neben den Kuchen. »Salz, um den bösen Blick abzuwenden.«
»Und die Kohle?«
Er zuckte die Achseln.
»Nun ja… Die brennt bereits.«
21
Der Duke of Argyle
Am Horizont versank die Sonne, aber Duncans Blick ging in eine andere Richtung. Er stand an einem der Spitzbogenfenster, welche die südöstliche Fassade des Schlosses von Inveraray schmückten, und betrachtete die verschneiten Berge hinter dem unter einer dicken Eisschicht schlummernden Loch, die jetzt von Pastelltönen übergossen wurden. Einen Moment lang schloss er die Augen, um das langgezogene Seufzen eines Dudelsacks besser aufnehmen zu können, das durch die eisige Luft dieses frühen Januarabends herandrang und ihn einhüllte wie ein Plaid. Er seufzte. Diese Musik war das Herz und das innerste Wesen der Highlands. Sie ließ das Herz der Krieger schlagen und erhob ihre Seele, wenn sie auf dem Schlachtfeld fielen.
Welche Ironie!, dachte er, als er die Gruppe von Soldaten beobachtete, die zackig um ihre Achse fuhren und mit ihren Schuhen, die mit Silberknöpfen besetzt und von weißen Gamaschen bedeckt waren, auf den Boden stampften. Unter den prüfenden Blicken von Offizieren, die Befehle brüllten, wirbelten die Männer in einem Tanz aus roten Rockschößen rasch und geschickt ihre bajonettbewehrten Musketen herum. Die meisten von ihnen waren Highlander wie er selbst; die anderen stammten aus den Lowlands. Und alle trugen sie die scharlachroten Uniformröcke der Sassanachs .
Duncan überlegte, was ein Mann empfinden mochte, der in der Uniform eines anderen Volkes für einen König aus einem fremden Land kämpfte. Für ihn bedeutete es Verrat am eigenen Blut, wenn ein Highlander den roten Rock trug. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, hatten manche dieser Männer keine andere Wahl, weil sie Clans angehörten, die König George ihren
Treueid geleistet hatten. Aber für wen schlug ihr Herz wirklich? Duncan runzelte die Brauen und verzog das Gesicht.
»Verräter!«, brummte er und wandte sich ab.
»Was sagtest du?«
»Nichts«, murmelte er und sah Marion an.
Die junge Frau stöberte so begeistert in der imposanten Bibliothek, dass er lächeln musste.
»Vielleicht hat er uns ja vergessen?«, meinte er.
»Argyle?«, gab Marion zurück und blickte von einem herrlichen Band auf, der in gesprenkeltes Kalbsleder gebunden war und einen marmorierten Schnitt aufwies. »Hmmm…Das glaube ich kaum.«
»Aber wir warten schon mehr als eine Stunde hier, ohne dass der hochwohlgeborene Duke sich sehen lässt!«
»Oh, schau doch, Duncan! Was für ein wunderbares Buch!«, rief sie angesichts einer Bildtafel, die einen großen Papagei mit rotem Gefieder und blauen Flügeln darstellte, verzückt aus. Conrad Gesners Naturgeschichte der Tiere … Dieses Buch ist mir noch nie zuvor aufgefallen. Vielleicht hat er es ja ganz neu erworben?«
»Wir müssten schon längst auf dem Rückweg sein«, fuhr der junge Mann verärgert fort.
Marion legte den kostbaren Band auf sein Lesepult zurück und setzte eine ernste Miene auf.
»Ich bin mir ganz sicher, dass er kommen wird. Schließlich hat er uns aufgefordert, ihn heute hier zu treffen, und…«
Sie seufzte.
»Schön, einverstanden«, sprach sie weiter, »ich gestehe dir zu, dass er spät dran ist. Aber du vergisst, dass er eine Armee zu kommandieren hat…«
»Muss ich dich daran erinnern, dass es die Armee unserer Feinde ist?«
Sie runzelte die Stirn.
»Sicherlich, die feindliche Armee! Aber wenn er sagt, dass er kommt, dann kommt er auch. Hör auf, dir deswegen den Kopf zu zermartern!«
Verärgert sah Duncan zu der Kassettendecke auf, deren Eichenholz
zweifellos aus Argyle stammte. Tatsächlich erinnerte alles in diesem Raum an Argyle, und deswegen hatte er das Gefühl, hier zu ersticken. Der Duke war der mächtigste Mann nördlich des Forth, vielleicht der mächtigste in den gesamten Highlands. Doch wie alle Menschen, selbst die hochgestelltesten, hatte er eine Achillesferse.
Er ließ den Blick durch die weitläufige Bibliothek schweifen. Die Wände waren buchstäblich mit Büchern tapeziert. Die goldenen Lettern auf den Buchrücken schimmerten im Licht der Kerzen. Mehrere mit dunkelblauem Damast bezogene Barocksessel standen im Raum verteilt und luden die Leser zum Verweilen ein. In der Mitte thronte ein imposanter
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