Lanze und Rose
Mahagonischreibtisch, dessen Messinggriffe bedrohliche Löwenköpfe darstellten. Die Marmorbüste eines Mannes wandte ihm stolz ihr hochmütiges, hakennasiges Profil zu. Karten, die verschiedene Teile der Highlands und Schottlands zeigten, bedeckten die abgewetzte, von Schreibfedern zerstochene lederbezogene Tischplatte.
Die kleinen Abschnitte der Wände, die nicht mit Büchern bedeckt waren, verbargen sich schüchtern hinter anderen Gegenständen. Über dem Rauchfang des Kamins hingen zwei herrliche, fast zwei Meter lange gekreuzte Claymores unter einem prunkvollen Targe-Schild, das mit gehämmertem Leder überzogen und mit Eisenspitzen beschlagen war. Im Kamin brannten dicke Holzscheite auf vergoldeten Kaminböcken, die wie Schlingpflanzen gestaltet waren.
In einer Ecke des Raumes stand eine gewaltige clarsach 34 ohne Saiten. Duncan hatte schon häufig das Vergnügen gehabt, dieses wunderbare Instrument zu sehen und zu hören, das einen wahren Sirenengesang hervorbrachte. Die Barden spielten oft darauf; aber ihre Harfen waren kleiner, um sie besser transportieren zu können. Diese hier war ebenso groß wie Duncan. Schade, dass sie zum Schweigen verurteilt war. Vielleicht zog Argyle ja Tasteninstrumente vor, wie sie im Süden gespielt wurden.
Einige Gemälde, die zweifellos Vertreter seines Zweiges des Campbell-Clans darstellten, schmückten über einer Konsole ein
Stück Wand. Daneben stand ein Globus, der von einem Gestell aus Holz und Messing gehalten wurde. Duncan überraschte sich bei der Überlegung, ob der Duke diesen Raum für ihre Zusammenkunft ausgewählt hatte, um sie zu beeindrucken, oder ob die anderen Räume des Schlosses ebenso unter einem Übermaß an Möbelstücken und schmückenden Gegenständen erstickten. Verglichen mit seiner eigenen bescheidenen Kate und der Armut, in der die Clans in ihren Gebirgstälern lebten, wirkte das Schloss von Inveraray wie ein sybaritisches Paradies.
In seinen Augen war dieser Prunk übertrieben. Er brauchte das alles nicht. Für ihn lag sein Reichtum in dem Tal seiner Vorväter, in seinen smaragd- und amethystfarbenen Hügeln, in denen es Wild im Überfluss gab, und in den schillernden Lochs, die Schwärmen von Singschwänen eine Heimat boten. Sein Reichtum war das Land, in dem er geboren war und das ihn zu dem Mann gemacht hatte, der er war. Ungezähmt und wild, und stolz darauf, einfach er selbst zu sein. Und außerdem hatte er Marion…
Sein Blick blieb an einem ungewöhnlichen Möbelstück hängen, das in einem Winkel des Raums stand. Es war äußerst massiv und bestand aus geschnitztem Holz. An den Enden zweier herrlich gearbeiteter Holzbalken, die jeweils fast sechs Fuß lang waren, befanden sich vier große, leicht geneigte Lesepulte, die sich auf dieser Apparatur frei um ihre Achse drehten. Auf den Pulten lagen Bücher mit prachtvollen Einbänden, die mit eingeprägten oder erhabenen Arabesken, Ranken oder Wappen geschmückt waren.
Sein laienhaftes Auge wurde von einem Einband aus rotem Maroquin-Leder angezogen, der zweifach, am Rand und in der Mitte, Rahmen aus verschlungenen Linien, die in den Ecken mit Blumendarstellungen geschmückt waren, aufwies. Er bückte sich, um den Titel des Buchs zu lesen, der zwischen den Bünden des Buchrückens, unter dem Wappen von Argyle, eingeprägt war: Anatomia Reformata .
Er nahm den Band, der knackte, als er ihn aufschlug. Eine morbide Darstellung starrte ihm entgegen. Unwillkürlich zog er eine angewiderte Grimasse. Das Bild stellte die vollständig ihres
Inhalts entleerte Haut eines Menschen dar, die wie ein Leintuch ausgespannt war. Der Kopf mit den qualvoll verzerrten Zügen baumelte herab, und Arme und Beine waren an einen hölzernen Rahmen angenagelt.
»Ziemlich verstörend«, meinte Marion, die ihm über die Schulter sah.
»Hmmm… So, wie es eine Abhandlung über die menschliche Anatomie eben ist. Ich jedenfalls ziehe lebende Exemplare vor.«
Lachend blinzelte er ihr zu. Marion versetzte ihm einen leichten Schlag aufs Hinterteil und beugte sich über den Band auf dem darunterliegenden Lesepult.
»Sieh dir das an!«, rief sie aus und drehte das Gestell herum. »Eine Duodez-Ausgabe von Erasmus.«
»Erasmus?«
»Erasmus Desiderius von Rotterdam. Ein Humanist aus dem sechzehnten Jahrhundert, der für die moralische Freiheit des Individuums gekämpft hat. Ein Freidenker. Er gab nichts auf die religiösen Institutionen und trat für eine Verständigung zwischen Katholiken und Protestanten ein. Ich frage
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