Lanze und Rose
sollst keine Not leiden. Duncan wird sich um dich kümmern.«
»Wohin willst du gehen?«
»Ich weiß es nicht… Vielleicht nach Glasgow, oder nach Süden, in die Borders 33 . Dort könnte ich Arbeit in einer Stoffmanufaktur
finden. Zur Not kann ich immer noch in die Kolonien gehen.«
»Ja, die Kolonien…«, murmelte ich zerstreut.
Liam war also bereit, mich zu verlassen, wenn ich das wollte. Mein Blick fiel auf den Ring, den ich jetzt seit zwanzig Jahren am Finger trug. Zwanzig Jahre… Und dann sollte es so enden? Schweigend wartete Liam auf meine Antwort. Ich wusste, dass ich nie würde vergessen können, was geschehen war. Aber war die Liebe nicht dazu da zu verzeihen? Bei der Vorstellung, ihn nie wiederzusehen, klopfte mein Herz zum Zerspringen. Mein Rettungsanker, meine starke Schulter, mein sicherer Hafen… Alles Versprechen. Hatte ich sie selbst immer gehalten? Niedergeschmettert und verloren hatte jeder von uns allein nach einem Halt im Sturm gesucht. Wir hatten uns nicht mehr aneinander festzuhalten vermocht. Gebrochene Versprechen… Ich war ebenso schuldig wie er.
»Ich will von deinem Angebot nichts wissen«, erklärte ich.
»Verstehe. Soll ich dich auf andere Weise entschädigen? Ich könnte…«
»Nein, du verstehst nicht.«
Er sah mich sprachlos an. Offensichtlich beherrschte er sich mühsam. Er hatte die Zähne zusammengebissen und die Hände, die auf seinem Kilt lagen, zu Fäusten geballt.
»Was willst du dann?«, brachte er in gemessenem Ton hervor.
»Ich weiß es nicht … Ich brauche Zeit … Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich will, dass wir uns trennen, Liam… Trotz allem, was geschehen ist.«
Seine Züge entspannten sich ein wenig. Er atmete tief durch und öffnete die Hände, um sie flach auf seine Schenkel zu legen. Nach kurzem Zögern streckte er mir eine offene, zitternde Hand entgegen. Ich legte meine hinein, und er zog sie an sein Herz.
»A ghràidh … Ich liebe dich so sehr.«
Er strich über meinen Ehering. Sein eigener Ring schlug dagegen. Er bestand aus Silber und war wunderbar gearbeitet. Ich hatte ihn einige Jahre nach unserer Hochzeit, kurz vor Frances’
Geburt bei meinem Vater in Auftrag gegeben und ihn Liam zu unserem vierten Hochzeitstag geschenkt.
Mit strahlendem Blick zog Liam mich sanft an sich. Er stieß ein leises Seufzen aus und erschauerte.
»Oh Gott!«, flüsterte er an meiner Wange. »Ich hatte schon gefürchtet, dich nie wieder in die Arme schließen zu können. Man kann Ereignisse nicht ungeschehen machen, ich weiß. Aber ich glaube, dass man versuchen kann…«
Seine Lippen streiften mich, fanden meinen Mund und riefen ein Beben hervor, das mich von Kopf bis Fuß überlief. Seine Hände wurden kühner. Den ersten Schritt zur Versöhnung hatten wir zurückgelegt. Doch ich fühlte mich noch nicht bereit, zum zweiten überzugehen. Mein Körper reagierte auf seine Liebkosungen, doch mein Geist widersetzte sich ihnen weiterhin. Ich verspannte mich leicht, als seine Hand an meinem Schenkel hinauf und unter mein Hemd glitt. Liam erstarrte und sah mich schmerzerfüllt an.
»A ghràidh …«, bat er.
»Wie ich dir schon sagte; ich brauche noch Zeit.«
Er rückte ein wenig von mir ab und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr zurück.
»Ich verstehe«, sagte er nach kurzem Schweigen. »Möchtest du, dass ich ins Feldlager zurückkehre?«
»Nein … Du kannst bleiben.«
Ich lächelte freudlos. »Es ist kalt.«
Er lächelte ebenfalls und umarmte mich zärtlich.
»Hmmm… Dann werde ich Euch eben auf keusche Weise das Bett wärmen, Mrs. Macdonald. Der Morgen des ersten Tages des Jahres 1716 dämmert herauf, und…«
Er suchte etwas in seinem Sporran und zog ein kleines, in ein Taschentuch geschlagenes Bündel hervor, das er vor mir auf das Bett legte.
»Die Tradition verlangt, dass man das neue Jahr nicht beginnt, ohne einander Gesundheit und Wohlstand gewünscht zu haben…«
Ich öffnete das kleine Päckchen, das ein Stück dunklen Gewürzkuchen enthielt. Ich lächelte. Der Tradition nach sollte der
erste Mensch, der im neuen Jahr die Türschwelle überschritt, ein großer, gut aussehender und dunkelhaariger Mann sein. Diese Bedingungen erfüllte Liam. Außerdem sollte dieser Mann drei Geschenke mitbringen: einen Schluck Whisky, eine Scheibe Kuchen oder Brot, um im neuen Jahr für reichlich Nahrung zu sorgen, und ein Stück Kohle, das für Wärme stand.
»Da fehlen noch die Kohle und der Whisky!«, bemerkte ich.
»Ich fand, dass
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