Lanze und Rose
Anblick des Cairn wühlte ihn zu sehr auf. Die Männer entfernten sich, um am Grab meines Schwagers Andacht zu halten. Ich nutzte die Zeit, um mich von Beatrix zu verabschieden. Ich dankte
ihr von ganzem Herzen und versprach, im nächsten Frühling mit Liam zurückzukehren, um Colins sterbliche Hülle abzuholen. Wirklich, das Schicksal hatte mir diese kleine Frau über den Weg geschickt. Dr. Mansholt und sie waren wie Leuchtfeuer gewesen, die verhindert hatten, dass ich mich in der Finsternis verirrte. Sie hatten mein Leben verändert, und ich würde sie niemals vergessen.
Liam war in der Nähe der Kate stehen geblieben und betrachtete abwesenden Blickes die Kreuzschnäbel, die sich an den Brotkrumen, die Beatrix ihnen täglich hinstreute, gütlich taten. Seine angespannte Miene verriet mir, dass ihn etwas umtrieb.
Die Männer und das Campbell-Mädchen – besser gesagt, die Frau meines Sohnes – kehrten mit ernster Miene zurück. Es war Zeit, sich auf den Weg zu machen. Wir mussten die Cairngorm-Berge passieren. Unsere Route war Gegenstand einer angeregten Debatte gewesen: Sollten wir sie überqueren oder umgehen? Liam hatte die Frage schließlich entschieden. Wir würden einen Bogen um die Berge schlagen. Der Schnee, der sich in den Pässen und Tälern angesammelt hatte, würde womöglich das Vorankommen der Pferde behindern und uns nur noch länger aufhalten.
Das Wasser hatte einen Teil des Schnees, den der Sturm vor einer Woche hinterlassen hatte, zum Schmelzen gebracht und die Straßen unwegsamer gemacht. Die Pferde sanken oft bis über die Sprunggelenke im Schlamm ein und ermüdeten rasch. Indem wir nur kurze Pausen machten, legten wir dennoch etliche Meilen zurück und näherten uns Inverness.
Ich lernte Marions Gesellschaft schätzen und nannte sie bei mir nicht länger das »Campbell-Mädchen«. Abgesehen davon, dass sie meine einzige weibliche Gesprächspartnerin darstellte, war sie mir eine unschätzbare Hilfe bei der Suche nach Nahrung.
Der dritte Tag unserer Reise neigte sich dem Ende zu. Die Männer sammelten so viel Brennmaterial wie möglich, um vor einer Granitwand, welche die Wärme zurückwerfen und uns vor den Winden aus Nordwest schützen sollte, ein Feuer anzuzünden.
Marion und ich schnitten wie üblich Astwerk ab, um provisorische Unterkünfte für die Nacht zu errichten. Ich war zum Lager gegangen, wo bereits die Flammen züngelten, und kehrte soeben zurück, als ein Schuss erschallte. Ich hob den Kopf. Die Zeit schien stehen zu bleiben. Ich sah, wie Duncan erbleichte und losrannte, dorthin, wo Marion zuletzt gewesen war.
»Marion!«, schrie er.
Die anderen ergriffen ihre Musketen und Messer und stürzten ihm nach. Ich folgte ihnen. Entsetzt erstarrten wir, als wir eine leuchtend rote Blutspur erblickten. Duncan, der totenbleich geworden war, setzte sich bereits wieder in Bewegung.
Wir folgten der Spur, die einen kleinen Erdhügel umrundete, und blieben angesichts des Bildes, das sich uns bot, wie angewurzelt stehen. Marion hatte die Ärmel bis über die blutbeschmierten Unterarme hochgeschoben und lächelte uns verlegen zu.
»Ah! Das Tier war mir zu schwer, daher…«
»Was in aller Welt…«, brüllte Duncan und stürzte zu ihr.
Er brach abrupt ab, als er die wilde Ziege sah, die hinter seiner Frau im rot gefärbten Schnee lag. Sein Mund blieb offen stehen, und er errötete heftig.
»Ich habe sie zwischen den Bäumen gesehen, und …«
»Marion!«, schrie Duncan und riss sie an sich. »Ich dachte schon…«
»Was hast du gedacht? Dass ich nicht weiß, wie man mit einer Pistole umgeht?«, gab Marion gereizt zurück.
Duncan sah auf die abgeschossene Waffe hinunter, die neben dem Tier im Schnee lag.
»Aber das ist ja meine Pistole! Was hast du damit angestellt?«
»Ich habe mir gedacht, ich könnte vielleicht einen Hasen oder ein anderes kleines Tier aufspüren. Eine Muskete ist so schwer zu schleppen, und … Also…«
Stirnrunzelnd betrachtete sie Duncans mürrische Miene und presste die Lippen zusammen.
»Wenn die Ziege dir nicht zusagt, brauchst du nur etwas anderes zum Abendessen zu jagen.«
»Das ist gar nicht die Frage! Was hast du mit meiner Pistole angestellt?«
Sie warf ihm einen mordlustigen Blick zu und verzog verärgert das Gesicht. Vor Verblüffung standen wir alle sprachlos da. Was zunächst nach einer Tragödie ausgesehen hatte, wuchs sich zu unserer großen Belustigung zu einem Ehestreit aus. Eine Szene, die Shakespeare inspiriert hätte!
»Nun ja, ich
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