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Lanze und Rose

Lanze und Rose

Titel: Lanze und Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
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am Leben, und das Herz meiner Tochter wäre kein Scherbenhaufen.
    »Aber warum eigentlich?«, fragte ich gereizt. »Wieso habt ihr den Konvoi überfallen?«
    »Wir hatten Hunger, Mutter«, erklärte Frances und wandte beschämt den Blick ab.
    »Ihr hattet Hunger?«, wiederholte ich ungläubig. »Aber…«
    »Mutter«, unterbrach sie mich schroff. »Trevor war länger als drei Monate fort gewesen. Seinen schmalen Vorrat hatte ich aufgezehrt. Er hat zu jagen versucht, doch das Wild floh ihn wie die Pest. Er wollte nicht beim Rest des Clans um milde Gaben bitten. Außerdem hatten die anderen auch nicht viel übrig. Trevor hat sich so sehr gewünscht, mich glücklich zu machen.«
    »Du hättest nach Carnoch kommen können, ich hätte dir …«
    »Nein«, fiel sie brüsk ein.
    Sie verzog das Gesicht, und Tränen traten ihr in die Augen.
    »Trevor war doch so stolz, Mutter! Er wollte das nicht. Ich habe es ihm vorgeschlagen, doch er hat sich strikt geweigert. Er hat gesagt… Er hat gesagt, er wolle lieber sterben, als zum Bettler zu werden!«
    Er ahnte ja nicht, wie wahr er gesprochen hatte!
    »Aber warum wart ihr allein?«, fragte ich. Jetzt konnte ich die beiden besser verstehen.
    »Seine Cousins sollten zu uns stoßen, doch sie haben sich verspätet. Trevor war das Warten satt. Er hatte Angst, der Konvoi könnte sich in Bewegung setzen, und wir würden nichts mehr
erwischen. Die letzte Wagen wurde nicht bewacht … Wir hatten Hunger.«
    Und gleichzeitig hatten sich der Prätendent und seine Edelleute an den feinsten Wildgerichten ergötzt und sie mit den besten französischen Weinen heruntergespült. Was für ein elendes Leben! Alle Soldaten, die im Spätsommer auf den Feldzug gegangen waren, die gekämpft hatten, waren nach Hause gekommen und hatten die Scheunen und Speisekammern leer vorgefunden. Und die Erhebung war so gut wie gescheitert. Nicht lange, und König George würde hart durchgreifen. Wieder würden Clans mit Feuer und Schwert bestraft werden. Man würde Anklagen vorbringen, und Verbannungen und Todesurteile würden verhängt werden. Die Männer würden sich einige Zeit in den Hügeln verstecken müssen.
    »Was hast du jetzt vor?«
    »Ich kehre zu mir nach Hause zurück.«
    »Wohin?«
    Sie maß mich mit einem merkwürdigen Blick, als verstünde sie den Sinn meiner Frage nicht.
    »Nach Dalness natürlich, Mutter! Dort ist jetzt mein Zuhause. Ich war seine Frau, wenn auch nur ein paar Monate. Und jetzt werde ich für den Rest meines Lebens seine Witwe sein.«
    Sie hob die linke Hand, an der ein Ring aus schmalen, ineinander verschlungenen Kupferfäden schimmerte.
    »Er hatte ihn während des Feldzugs vom Schmied im Lager fertigen lassen. Später wollte er mir einen Ring aus Silber schenken. Aber dieser hier … wird seinen Zweck sehr gut erfüllen.«
    Sie verstummte einen Moment lang und betrachtete ihren Ehering, der die gleichen kupferfarbenen Reflexe warf wie ihr Haar.
    »Mutter, ich habe Angst. Ich fühle mich so allein. Nachts … habe ich Albträume. Dann steht mir die ganze Szene wieder vor Augen.«
    Sie schloss die Augen und schmiegte sich fest an mich.
    »Sein Gesicht… Das Geräusch, mit dem sich die Falltür unter seinen Füßen öffnet … Nacht für Nacht sehe ich es wieder, höre alles … Das ist grauenvoll.«

    »Ich weiß.«
    Oh, und ob ich das wusste! Ich hatte die gleichen Albträume gehabt, als Liam in Edinburgh wegen des Mordes an Lord Dunning eingekerkert war. Meine Träume waren allerdings nur eine Ausgeburt meiner Fantasie gewesen; ein Ausdruck meiner Ängste. Bei Frances war das etwas anderes. Was sie immer wieder erlebte, war die Wirklichkeit. Die Bilder würden sie ihr Leben lang verfolgen. Ich stieß einen tief empfundenen Seufzer aus und schloss die Augen. Wie hatte Dr. Mansholt noch gesagt? Selbst im Unglück bringt die Macht des Schöpfers das Beste in uns hervor. Ja, etwas in der Art. Ich sah auf meine Tochter hinunter und hoffte von ganzem Herzen, dass er recht haben möge.
    Ich wandte den Kopf, sah unbestimmt über den Loch hinaus und betrachtete die raue und sanfte Schönheit der Natur, die mich umgab und mir die Geschichte dieses Landes erzählte. Trevor, Simon, Colin, Ranald … Wie viele andere noch? Dieser Boden dürstete nach Blut und sog es auf wie ein Schwamm das Wasser.
    Schottland, dieses alte, von tiefen Falten durchzogene und verbrauchte Land, hatte bei den Römern Kaledonien geheißen, und Dalriada hatten es die Scoten, die aus Irland kamen, genannt. Später

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