Lanze und Rose
gegangen.«
Vor meinem inneren Auge sah ich die alte Janet Simpson und all diese Frauen, die in dieser Kloake am Dunain Hill lebten. Auf den ersten Blick hatten diese von Elend und Hoffnungslosigkeit gezeichneten Frauen mich an die Hexen aus Macbeth erinnert. In
Janet mit ihrem blinden Auge hatte ich Hekate gesehen. Doch diese Frau wirkte nur äußerlich wie eine Hexe. Trotz ihrer tiefen Armut, die sie nötigte, sich durch Betteln zu ernähren, hatte sie meine arme Tochter aufgenommen.
Ich kauerte mich neben Frances und lehnte mich gegen das Kreuz. Hat nicht jeder Mensch sein Kreuz zu tragen? , erinnerte ich mich mit leiser Ironie. In diesem Moment bekamen Dr. Mansholts Worte ihren ganzen Sinn. Ich zog Frances an mich und legte ihren Kopf an meine Schulter, so wie damals, wenn sie als Kind bei Nacht erwachte und von Kobolden und anderen Wesen geträumt hatte, die ihr Angst einjagten. Sie hatte schon immer eine überschäumende Fantasie besessen. Liam wartete zögernd in einigen Schritten Entfernung. Wahrscheinlich fühlte er sich ohnmächtig angesichts von so viel Unglück und Schmerz; jedenfalls hatte er sich auf einen alten Baumstumpf gesetzt und überließ es mir, unsere Tochter zu trösten.
»Konntest du ihn sehen?«, fragte ich Frances behutsam.
»Ja…«
Ihre Stimme klang gepresst, und ihre Tränen rannen in mein Haar.
»Oh, Frances … Meine kleine Frances…«
»Er … er war mir nicht böse, weißt du. Er hat gesagt, das sei alles ein dummer Zufall gewesen. Aber das stimmt nicht, Mutter. Ich wusste, dass die Waffe geladen war, und ich habe auf den Abzug gedrückt.«
»Du wolltest ihm das Leben retten, Frances.«
An meiner Brust seufzte sie tief auf, und mir brach fast das Herz.
»Und statt ihn zu retten, habe ich ihn getötet.«
Was konnte man darauf entgegnen? Sie war von Reue zerrissen. Kein Wort von mir hätte ihre Schuldgefühle lindern können. Erst später würde sie erkennen können, dass man sich nicht gegen die Unabwendbarkeit des Schicksals auflehnen kann. Man kann es nur annehmen.
»Sie haben ihn am 20. Januar zum… Schafott geführt. Ich wollte unbedingt dabei sein. … Das war das Schlimmste, was ich in meinem ganzen Leben getan habe, Mutter. Aber es musste
sein, um Trevors willen. Sie waren zu dritt; die beiden anderen waren Deserteure. Trevors Gesicht war von Blutergüssen überzogen. Die Bastarde waren es nicht zufrieden, ihn aufzuhängen, sie hatten ihn auch noch verprügelt. Sie sind zum Galgen marschiert, der etwas über eine Meile vom Gefängnis entfernt steht. Die Gefangenen trugen ein Schild um den Hals, auf dem mit Rot ›Verräter‹ geschrieben stand. Bei Trevor hatten sie noch ›dreckiger Jakobit‹ und ›Hund von einem Papisten‹ hinzugefügt.«
Sie unterbrach sich, um sich zu schnäuzen, und stieß ein paar Verwünschungen aus.
»Eine fröhliche Menschenmenge folgte dem düsteren Zug. Die Trommelwirbel klangen wie Donner, und die Schmähungen fielen wie Blitze. Ich versuchte, ihnen nachzulaufen… Die Leute stießen mich an, und meine Beine fühlten sich an, als würden sie jeden Moment versagen… Am Stadtrand ist er zum ersten Mal gestürzt. Er ist auf einem Stein ausgerutscht, der im Schlamm steckte. Da die drei Männer aneinandergekettet waren, mussten die anderen stehen bleiben. Einer der Deserteure hat sich gebückt, um ihm aufzuhelfen, aber die Pikeniere haben ihn brutal zurückgestoßen und Trevor mit Fußtritten traktiert, damit er wieder aufstand. Mutter… Sie haben ihn wie einen Hund behandelt.«
Wie hätte ich ein solch entsetzliches Erlebnis verkraftet, wenn das Liam zugestoßen wäre? Mir liefen die Tränen über das Gesicht, und ich drückte sie an mich. Mit matter Stimme fuhr sie dann fort.
»Sie haben gelacht, Mutter… Die Menge, die Männer, die Frauen, die Kinder … Für sie war das nur ein unterhaltsames Spektakel. Aber es war mein Trevor, den sie aufhängen wollten, weil er mich beschützt hatte. Das ist so ungerecht…«
Nicht zu verstehen suchen … Gott und seine Pläne. Die Gerechtigkeit der Menschen und die Gottes … Sie seufzte und begann wieder, in meinen Umhang zu schluchzen, der schon ziemlich durchfeuchtet war. Ich strich ihr zärtlich übers Haar und wartete, bis sie sich beruhigt hatte.
»Als ich das Schafott und die traurige Silhouette des Galgens erblickte, da… da wurde mir erst klar, dass ich bald Witwe sein würde«, erzählte sie weinend weiter.
Sie lachte höhnisch auf und schüttelte den Kopf.
»Witwe mit
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