Lanze und Rose
mich; dass er mir die Flinte abnahm, damit ich nicht noch eine Dummheit beging. Aber als die Soldaten ihn abführten, wurde mir klar, dass sie ihn für den Mörder hielten, und ich habe geschrien… Ich habe geschrien, ich hätte geschossen. Trevor warf mir verzweifelte Blicke zu und bedeutete mir zu schweigen. Doch ich wollte nicht … Die Soldaten haben mich sogar verspottet und gesagt, ich würde nicht einmal auf einen Schritt Entfernung einen Menschen treffen. Ich habe weitergekreischt wie eine verdammte Seele. Sie durften doch Trevor nicht gefangen nehmen…«
»Wessen hat man dich angeklagt?«
»Des Diebstahls … Dabei hatten wir noch gar nichts gestohlen. Brigadier Maitland hat mich verhört. Ich habe darauf beharrt, dass ich den Soldaten getötet hätte. Aber Trevor hat behauptet, ich sei seine Schwester und geistig ein wenig verwirrt.«
Das letzte Wort sprach sie mit einem ironischen Unterton aus und lachte sarkastisch.
»Verwirrt…«, wiederholte sie im Flüsterton. »Er hat ihnen gesagt, ich sei seine Schwester … So hysterisch, wie ich mich aufgeführt habe, kann ich mir vorstellen, warum sie eher ihm geglaubt haben. Trevor hat verlangt, dass sie mich freilassen, und geschworen, ich sei unschuldig und hätte nichts mit dem Verbrechen zu tun. Aber sie haben sich geweigert. Dann hat man uns vorsichtshalber nach Inverness verlegt. Angesichts des Aufstands und ihres Mangels an Leuten und Material fürchteten sie, Männer aus Dalness könnten versuchen, uns zu befreien. Einige von ihnen hatten sich aus Perth abgesetzt und waren in der Gegend gesehen worden. Und so fand ich mich im Tolbooth wieder. Schließlich wurde ich vor Gericht gestellt. Innerhalb von Minuten war alles vorbei. Wahrscheinlich war alles schon vorher entschieden … Und ich wurde ins Loch gesteckt.«
Sanft legte ich ihr eine Hand auf den Arm und drückte ihn zärtlich.
»Das war die Hölle, Mutter…«
»Lass uns Halt machen«, sagte ich leise zu Liam.
»Hmmm…«
Ich fasste Frances’ Pferd am Zaum und lenkte es an den Straßenrand.
»Ich gebe den anderen Bescheid«, sagte Liam.
Wir befanden uns am Ufer eines kleinen, teilweise zugefrorenen Loch. Ein grauer, flacher Stein von mehreren Zoll Dicke ragte aus dem weißen Boden. In eine der Seiten war ein keltisches Kreuz eingehauen. Frances trat heran und kniete davor nieder. Mit den Fingern zog sie die rauen, verschlungenen Linien nach.
»Was würde ich darum geben, diesen Teil meines Lebens zu vergessen«, sagte sie leise.
»Wir alle haben in unserem Leben Dinge erlebt, die wir am liebsten für immer auslöschen würden. Aber das ist leider unmöglich, Tochter. Diese Episoden gehören zu uns. Daraus sind wir gemacht, verstehst du. Wir sind wie weicher Ton in den Händen
des Geschicks. Jeder Schicksalsschlag hinterlässt seinen Abdruck.«
»Wer entscheidet darüber?«, verlangte sie zu wissen und legte die flachen Hände auf den kalten Stein.
»Gott… Das Gute, das Böse. Das eine existiert nicht ohne das andere. Beide zerreißen uns, benutzen, lenken und formen uns und machen uns zu dem, was wir sind.«
»Es tut so weh.«
»Ich weiß, ich weiß ja«, sagte ich und strich ihr übers Haar.
Sie vergrub das Gesicht in meinen Röcken und umschlang meine Knie.
»Mutter… Dort, im Loch, wollte ich sterben«, gestand sie schluchzend. »Ich wusste genau, dass man Trevor des Mordes anklagen würde, und ich hatte keinen Zweifel daran, wie der Prozess ausgehen würde. Er würde zum Tode verurteilt werden. Das hat so wehgetan … an Körper und Seele. Jeden Tag, wenn ein Karren über mich hinwegrumpelte oder eine Kolonne Soldaten über mir marschierte, wurde ich daran erinnert, und ich habe geschrien, um es nicht hören zu müssen. Denn ich sagte mir, dass das Trevor war, den sie zum Schafott führten, und dass ich ihn nie wiedersehen würde.«
Sie schluchzte auf.
»Dabei wollte ich ihm unbedingt noch sagen, dass es mir leidtat, dass ich ihn liebte. Ein letztes Mal. Ach, Mutter…«
»Hat dir denn niemand Nachricht von ihm gebracht?«
»Ach was! Die übellaunige Alte, die mir meinen täglichen Brei brachte, hat sich ein sadistisches Vergnügen daraus gemacht, mich in Unkenntnis zu lassen. Erst Reverend Chisholm war so gütig, mir mitzuteilen, dass Trevor noch am Leben sein würde, wenn meine Strafe zu Ende war. Ich wollte ihn sehen, doch ich war zu schwach. Dann hat Mutter Simpson mich aufgenommen. Sie war sehr gut zu mir. Nach einigen Tagen ist sie mit mir ins Tolbooth
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