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Lanze und Rose

Lanze und Rose

Titel: Lanze und Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
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siebzehn … Ich sagte mir, dass ich träumen müsse. Doch die Trommelwirbel, die Beschimpfungen des Volkes, die mir in den Ohren gellten, und mein Herz sagten mir etwas anderes.«
    »Wusste er, dass du dort sein würdest?«, fragte ich leise.
    »Ja. Ich hatte es ihm gesagt. Er wollte nicht. Er wollte, dass ich nach Dalness zurückkehrte, doch das konnte ich einfach nicht. Ich konnte ihn doch nicht im Stich lassen, ihn allein in den Tod gehen lassen. Mir war ohnehin gleich, was danach aus mir werden würde.«
    Einige Sekunden vergingen.
    »Ich hätte bei dir sein sollen, Frances…«
    »Vater war krank, Mutter«, unterbrach sie mich und sah aus ihrem verzerrten, angeschwollenen Gesicht zu mir auf. »Außerdem hättet ihr nichts für ihn tun können; sein Schicksal war bereits besiegelt… Dann ist Trevor auf die Bretter des Schafotts gestiegen. Der Henker hat ihm die Schlinge um den Hals gelegt… Da hat er mich gesehen.«
    Ich spürte, wie sie zusammenzuckte und in meinen Armen zu zittern begann.
    »Dieser Blick… Den werde ich nie vergessen. Ein Geistlicher ist gekommen. Trevor hat unbewegt zugehört, wie er zu ihnen gesprochen hat, und mich die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen. Als der Priester seine Gebete beendet hatte, da hat er mir zugelächelt … Und dann haben sie ihm die Augen verbunden.«
    Sie wirkte abwesend; wahrscheinlich standen ihr die Erinnerungen vor Augen. Ihre Stimme klang jetzt sanfter, und sie verzog die Mundwinkel zu einem leisen Lächeln.
    »Er hatte so ein wunderbares Lächeln. Ich weiß es noch genau … Er war am letzten Beltane-Fest nach Glencoe gekommen, um im Auftrag seines Vaters etwas mit John MacIain zu besprechen. Er hat mich in der Brauerei gesehen, wo ich Vater geholfen habe, die Fässer zu füllen. Trevor war mit Robin Macdonnell dort, und er hat ihn nach meinem Namen gefragt und ob mein Herz frei sei. Er ist dann zum Fest geblieben…«

    »Er wird immer bei dir sein, Frances, im Geiste. Das kann dir niemand mehr nehmen.«
    »Ja, das hat Vater auch gesagt. Dort, wo er jetzt ist, braucht er nicht mehr zu leiden. So wie Ranald, Colin und die anderen …«
    »Das stimmt«, murmelte ich aufgewühlt und erinnerte mich wieder daran, dass Liam schon dort gewesen war … und nicht hatte bleiben dürfen.
    »Danach«, fuhr sie mit düsterer Miene fort, »haben sie die Männer am Galgen hängen lassen. Leckerbissen für menschliche Aasgeier. Ich wollte hingehen, um ihn zu berühren, ihn zu umarmen. Aber die Pikeniere haben mich weggestoßen. Mutter Simpson ist dann mit mir in die Kirche gegangen, wo ich gebetet und auf den Einbruch der Nacht gewartet habe. Sie haben die Leichen abgeschnitten und in die Grube geworfen wie die Gerippe von Schlachttieren… Zur Beute für die Räuber, die im Dunkel warteten, um sich ihren Anteil zu holen.«
    Heftig schüttelte sie den Kopf und krallte die Hände in den Stoff meines Umhangs.
    »Nicht einmal im Tod haben sie den Hingerichteten Achtung erwiesen. Sie haben ihre Kleider genommen und alles, was sie noch an sich trugen. Wie Geier haben sie sich auf die Leichen gestürzt und sich die Knöpfe, die Gürtelschnallen, die Hemden, die Schuhe streitig gemacht… Das war schrecklich, Mutter. Man hätte sie für … ein Rudel ausgehungerter Wölfe halten können, die sich an einem frisch gerissenen Tier ergötzten und knurrten, wenn sich ein anderer näherte.«
    Mit einem Mal sah ich wieder die aufgehäuften Kleidungsstücke in der Hütte der alten Janet vor mir. Die blitzenden Knöpfe, die sorgfältig aufgereihten Broschen, die zerrissenen Plaids, und vor Ekel erschauerte ich von Kopf bis Fuß. Trophäen …
    »Janet…«, flüsterte ich.
    »Wenn sie es nicht getan hätte, dann eben jemand anderer. So habe ich wenigstens etwas von ihm.«
    »Ich hoffe doch, du bist selbst nicht in die Grube gestiegen, oder?«
    Sie gab keine Antwort.
    »Frances?«

    »Ich… wollte mich von ihm verabschieden, Mutter.«
    Wie hatte sie das nur fertiggebracht? Ich konnte mir ziemlich gut vorstellen, wie die nackte, kalte Leiche eines Mannes, der seit mehreren Stunden tot war, aussehen musste. Hatte Frances nicht schon genug gesehen; musste sie dieses Bild auch noch in ihre schrecklichen Erinnerungen einreihen? Was hättest du denn an ihrer Stelle getan, Caitlin?
    Plötzlich ergriff mich ein fürchterlicher Zorn. Diese ganze grauenhafte Geschichte wäre nie passiert, wenn Trevor nicht auf die törichte Idee gekommen wäre, einen Nachschubkonvoi auszurauben. Er wäre noch

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