Lanze und Rose
das kalte Metall, das sich hinter meinem Rücken befand. Gut möglich, dass die
Kanten scharf genug waren, um daran meine Fesseln durchzuschaben … mit ein wenig Glück. Komm schon, Caitlin, du darfst keine Zeit verlieren … Sogleich machte ich mich ans Werk.
Lange Minuten arbeiteten meine Arme unabhängig von meinem Verstand; außer in den Momenten, wenn das Metall mir die Haut aufriss. Meine Arme scheuerten die Schnur durch; und mein Verstand schmiedete Pläne. Und dabei wusste ich genau, dass im entscheidenden Augenblick der Überlebensinstinkt alle raffinierten Fluchtpläne außer Kraft setzen würde. Dann gab die Schnur nach.
Angesichts der unerwarteten Freiheit verharrte ich einige Sekunden lang wie erstarrt. Eiskalt drang der Winterwind in die kleine, übel riechende Hütte, die mein Gefängnis gewesen war. Langsam führte ich die Arme vor den Körper und verzog vor Schmerz das Gesicht. Meine Schultern waren steif, und meine aufgeriebenen Handgelenke bluteten. Ich zog mir den Knebel, der mich erstickte, aus dem Mund, nahm mich jedoch zusammen, damit ich nicht vor Freude aufschrie. Doch mein Herz sang vor Seligkeit. Ich war frei!
In dem unablässigen Rollen der Wogen erscholl plötzlich ein Schrei und dann ein Krachen. Mein eben noch vor Freude hüpfendes Herz begann vor Angst wild zu pochen. Weitere Detonationen und noch mehr Ausrufe, die vom Strand herdrangen, folgten. Ich stürzte aus dem Schuppen. Vor dem spiegelnden Meer hoben sich mehrere Silhouetten ab. Eine davon befand sich in einem Boot und stürzte, die anderen rannten wild durcheinander. Stephen hatte sein Attentat durchgeführt.
Vor Angst zog sich mein Magen zusammen. War er erfolgreich gewesen? Oder hatten die Männer ihn getötet? Wo blieb Liam? Aber die Antworten mussten warten; ich musste hier fort. Der Mörder würde bald wieder auftauchen. Ich raffte meine Röcke und lief in den Wald, wobei ich mich bemühte, die Ruhe und einen klaren Kopf zu bewahren; aber die Musketenschüsse, die näher kamen, jagten mir immer größere Angst ein. In dieser undurchdringlichen Dunkelheit, in der ich längst nicht so rasch vorankam, wie ich gewollt hätte, fürchtete ich, mit dem flüchtigen Mörder verwechselt zu werden.
Mein Fuß blieb in der Wölbung einer Wurzel, die aus dem Boden ragte, hängen. Ich fand mich mit dem Kopf voran im feuchten Laubwerk wieder und stieß einen Schrei aus. Mein Fußgelenk war verstaucht. Ich robbte zu einem zerklüfteten Baumstumpf und verbiss mir einen zweiten Schrei, der mir beinahe entschlüpft wäre. Na, da bist du ja weit gekommen, Caitlin! Meine Flucht war schon nach ein paar Schritten zu Ende. Ich besaß wirklich ein Talent dazu, meine Füße dort hinzusetzen, wo sie nicht hingehörten. Was für ein Ärger!
In meiner Panik hatte ich nicht bemerkt, dass es im Wald wieder still geworden war. Ich lehnte mich an den Stamm und versuchte zu erraten, was geschehen war. Hatten die Männer Stephen gefangen? Plötzlich knackte in der Nähe etwas. Ich wandte den Kopf in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war, und hielt den Atem an. Nichts. Ich holte wieder Luft. Vielleicht ein Tier, das sich bei Nacht auf Beutesuche befand. Ein Knistern verriet mir, dass sich das Wesen in meiner Nähe befand. Ich konnte ein erschrecktes Aufseufzen nicht unterdrücken. Hektisch versuchte ich, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Immer noch nichts. Dann legte sich eine Hand über meinen Mund und erstickte meinen entsetzten Aufschrei, während ich die Augen aufriss.
»Versucht Ihr etwa Fersengeld zu geben?«, flüsterte eine Stimme, die mich erzittern ließ.
Die Klinge eines Dolchs überredete mich, trotz des stechenden Schmerzes in meinem Knöchel aufzustehen. Stephen stieß mich grob gegen den Baumstamm; um nicht zu fallen, klammerte ich mich an seiner Weste fest. Der Stoff fühlte sich klebrig an, und der Geruch nach frischem Blut stieg mir in die Nase.
»Bist du verwundet?«, fragte ich einfältig.
»Danke, dass Ihr mich daran erinnert«, schnaubte er ironisch.
Aus feuchten Augen starrte er mich so durchdringend an, dass ich Gänsehaut bekam. Ich sah, wie seine Brust sich in panischem Rhythmus hob und senkte. Er war auf der Flucht; die Soldaten konnten nicht weit hinter ihm sein.
»Ich hatte es geahnt«, murmelte er leise. »Die Männer Eures Gatten… Sie waren da…«
»Liam … Hast du ihn gesehen?«
»Ob ich ihn gesehen habe?«
Er schüttete sich vor Lachen aus, verschluckte sich aber. Die Klinge saß mir immer
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