Lanze und Rose
sich.
Sie ging in dem kleinen Boudoir auf und ab und knabberte dabei zerstreut an ihrem Kuchenstück.
»Schön, gehen wir einmal von dieser Idee aus, die gar nicht übel ist«, fuhr sie fort und blieb vor dem kleinen Sekretär stehen. »Eine Besuchserlaubnis für einen schwer verletzten Gefangenen, das ließe sich schon machen. Aber wie wollt ihr Patrick herausholen?«
»Vielleicht eine Anordnung, ihn zu verlegen?«, schlug ich vorsichtig vor.
Sàras Miene hellte sich auf.
»Aber natürlich! Eine Verlegung! Warum bin ich nur nicht früher darauf gekommen? Aber wer wird uns diesen Befehl beschaffen ?«
Clementine hatte sich über den Sekretär gebeugt und durchstöberte
die kreuz und quer übereinandergestapelten Papiere. Sie zog ein Blatt hervor, studierte es einen Moment lang und drehte sich dann um. Auf ihren Lippen lag ein triumphierendes Lächeln.
»Du, Sàra!«, rief sie und schwenkte das Papier unter der Nase meiner Schwägerin hin und her. »Du wirst ihn fälschen.«
»Was? Aber das würde ich niemals fertigbringen! Das meinst du nicht ernst! Patrick ist der Meister auf diesem Gebiet… Nicht ich!«
»Aber ja, du kannst das. Schau, hier ist es dir gelungen, meine Unterschrift perfekt zu imitieren.«
Sàra nahm das Blatt in die Hand und betrachtete es ebenfalls mit zusammengezogenen Augen.
»Ich weiß nicht, Clementine …«
»Lasst mich mal sehen«, sagte ich, plötzlich sehr neugierig geworden.
Sie reichte mir das Blatt, das mit einer feinen Handschrift und Tintenklecksen bedeckt war. Unter dem Brief befanden sich zwei Unterschriften … Sie sahen vollständig gleich aus.
»Oh, Sàra!«, rief ich aus und spürte, wie neue Hoffnung in mir aufstieg. »Ich bin mir sicher, dass du in der Lage dazu bist. Aber wir müssen ein Schriftstück auftreiben, das der Gouverneur mit eigener Hand verfasst … und unterzeichnet hat.«
»Das könnte ich mir verschaffen, Madam Caitlin.«
Ich sah zu der rätselhaften jungen Frau auf. Ihr Gesicht war vor Vergnügen ganz rosig geworden, und sie strahlte glücklich.
»Meine Güte, Ihr scheint ja hochrangige Bekanntschaften zu pflegen! Ein wohlwollender Marquess, ein Lord, der Gouverneur der Festung … Wen kennt Ihr denn noch?«
Ihr Lächeln wurde breiter, und ein kristallklares Lachen perlte durch das Boudoir.
»Den obersten Richter von Edinburgh, einige wohlbekannte Juristen … Ich sehe schon, dass Sàra Euch nie von mir erzählt hat. Also werde ich dieses kleine Versäumnis nachholen. Mein wahrer Name lautet Ishobel Todd.«
Verblüfft starrte ich Clementine – oder Ishobel – an.
»Ich stamme aus dem kleinen Tal Glenfiddish und bin das älteste von neun Kindern. Alle Welt hält mich für eine Waise, die Tochter eines reichen Kaufmanns aus Dunbar. Aber das ist nur vorgetäuscht, eine Art Deckmantel.«
»Ein Deckmantel?«
»Aber ja. Versteht Ihr, ich bin, wie soll ich das ausdrücken …«
Auf der Suche nach den richtigen Worten presste sie die Lippen zusammen und schlug die langen schwarzen Wimpern nieder.
»Ich stehe in Geschäftsverbindung zum Marquess of Tullibardine«, erklärte sie schließlich. »Wir haben eine Art Übereinkunft geschlossen.«
»Eine Übereinkunft? Mit dem Marquess of Tullibardine?«
»In der Tat«, fuhr sie fort, offenbar ein wenig verdrossen darüber, dass sie sich noch deutlicher ausdrücken musste. »Der Marquess – William Murray – hat, wie Ihr sicherlich wisst, im vergangenen August auf den Hügeln von Breamar unter der Standarte des Prätendenten die Waffen erhoben. Er und ich sind, wenn man so sagen will, sehr gute Freunde …«
So langsam sah ich ein wenig klarer, was ihre ausweichenden Antworten bedeuteten.
»Also haben wir eine kleine Übereinkunft getroffen, die für beide Teile sehr vorteilhaft ist …«
Sie strich eine unsichtbare Falte an ihrem Rock glatt und warf dann Sàra, die offenbar große Anstrengungen unternahm, nicht zu lachen, einen Blick zu.
»Ich verschaffe ihm Informationen, im Austausch für gewisse Annehmlichkeiten.«
»Was für Informationen?«
Sàra konnte sich nicht mehr beherrschen und brach in lautes Gelächter aus.
»Madam Caitlin, ein Mann mag bereit sein, unter der Folter zu sterben, um ein Geheimnis zu wahren. Aber auf meinem Kopfkissen …«
Ich lächelte, ein wenig verlegen über meine Naivität. Eine Kurtisane! Und eine Spionin noch dazu!
Zwei Tage später trafen wir uns in den äußerst komfortablen Gemächern von Ishobel Todd, alias Clementine Stratton, wieder. Doch für
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