Lanze und Rose
teure Caitlin«, erklärte sie zuckersüß. »Und die Männer, die den Verstand zwischen den Beinen haben, lassen sich leicht fangen. Ich weiß, wovon ich spreche.«
Ich begann zu verstehen, warum der Marquess of Tullibardine sich ihrer Dienste bediente. Diese Clementine war wirklich ziemlich aufgeweckt. Doch behagte mir ihr kleiner Plan überhaupt nicht.
Von neuem fiel mein Blick auf die schwere, aus dem Orient stammende Schatulle, die auf der Kommode stand. Clementine, die mein Interesse bemerkt hatte, zog den wunderschönen Gegenstand auf uns zu.
»Mach sie auf.«
Ein seltsamer Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht.
»Darf ich? Sie ist herrlich«, meinte ich und hob langsam den Deckel hoch.
Einen Moment lang sah ich sprachlos auf den verblüffenden Inhalt der Schatulle hinunter. Angesichts meiner erschrockenen Miene brach Clementine in Gelächter aus. Dann nahm sie das außergewöhnliche Objekt aus seiner Hülle und reichte es mir.
»Nicht echt, aber man muss doch zugeben, das es ziemlich gut gefertigt ist!«
Ich errötete bis an die Haarwurzeln und weigerte mich, den Gegenstand, der einem aufgerichteten männlichen Geschlechtsteil zum Verwechseln ähnelte, in die Hand zu nehmen. Sàra, die zu uns getreten war, fasste es am unteren Ende an und ließ es spitzbübisch lächelnd langsam hin- und herschwingen.
»Und wozu ist das nun gut?«, fragte sie arglos.
»Kennt ihr das Kamasutra?«
»Nein«, gestand ich und folgte der hypnotisch wirkenden Bewegung des elfenbeinernen Gegenstands.
»Das ist die Kunst der Liebe. In Indien erlernen die jungen Frauen die Regeln des Liebesspiels und die Handreichungen, die dem Manne Lust bereiten. Kama ist der indische Gott der Liebe, und dies hier …«
Amüsiert betrachtete sie den Gegenstand, der jetzt reglos zwischen Sàras Fingern hing.
»Nun ja, ich nehme an, er dient zu gewissen Manipulationen … Ein reicher irischer Importeur, Nathaniel Kelly, hat ihn mir geschenkt. Ein sehr charmanter Mann, der wohl fürchtete, ich könnte ihn zwischen seinen Besuchen vergessen.«
Sie kicherte und nahm den Gegenstand aus den Händen meiner Schwägerin, um ihn genauer zu betrachten.
»Der arme Mann! Sein Schiff ist im Indischen Ozean untergegangen, vor den Malediven. Das hier ist alles, was mir von ihm geblieben ist!«
Ihr Lächeln wurde breiter; und ihre Miene verriet alles über ihre Gedanken. Wir schütteten uns vor Lachen aus. Mit einem Mal jedoch unterbrach uns ein spitzer Schrei, und als wir uns umdrehten, erblickten wir die Zofe, die hochrot angelaufen war und das Objekt aus großen, runden Augen anstarrte.
»Stimmt etwas nicht, Flora?«, brachte Clementine zwischen zwei Hicksern heraus.
»Ähem…«, stieß das junge Mädchen, das offensichtlich wusste, was das Abbild darstellte, hervor. »Aggie schickt mich, Madam … Sie möchte noch einmal die Speisekarte für das morgige Dinner mit Euch durchgehen; es gibt ein kleines Problem.«
»Sag ihr, dass ich in ein paar Minuten hinunterkomme.«
»Ja, Madam …«
Erleichtert stürzte das Mädchen in den Korridor hinaus. Clementine räumte den schönen Gegenstand in seine Schatulle und schloss sie. Dann entschuldigte sie sich und stieg in die Küche hinunter. Lächelnd machte Sàra sich wieder an die Arbeit. Das kleine, spaßige Intermezzo hatte ihr die gute Laune zurückgeschenkt. Ich setzte mich in einen mit Seidendamast bezogenen und mit einer zu den Wandbehängen passendem Goldborte geschmückten Sessel. Dann zog ich die Schuhe aus, legte die Füße auf einen weichen Schemel und benetzte meine Lippen mit dem samtigen, bernsteinfarbenen Nektar. Ich schloss die Augen.
»Kennst du sie schon lange?«
»Wen? Clementine?«
»Clementine oder Ishobel, was dir lieber ist.«
»Ich habe sie vor zwei Jahren beim Earl of Marischal getroffen. Sie hat den Marquess begleitet. Ich mag sie gern. Ich weiß, dass es nicht gut ist, Umgang mit einer Kurtisane zu pflegen, weil es für Gerüchte sorgt, aber sie ist meine einzige richtige Freundin hier.«
Ich öffnete die Augen und sah sie an. Sie beugte sich über ihr Papier und hatte konzentriert die Unterlippe zwischen die Zähne gezogen und die Stirn gerunzelt.
»Bist du glücklich, Sàra?«
Die Feder verharrte über dem Tintenfass.
»Aber ja«, antwortete sie und legte das Schreibinstrument langsam weg, um mich anzuschauen. »Jedenfalls werde ich es sein, sobald Patrick aus dem Gefängnis freikommt.«
»Ich meinte eigentlich, ob du hier in Edinburgh mit meinem Bruder glücklich
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